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Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac

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Vetopositionen, Kompromisszwang, referendumstechnische Überlegungen sowie<br />

die meist hohe Komplexität der Materie zwingen den Gesetzgeber, zentrale Punkte<br />

aus dem Gesetz auszuklammern, grosszügige Ausweichklauseln einzufügen, im<br />

Belanglosen sehr detailliert <strong>und</strong> im Wichtigen sehr vage zu formulieren. Strittige<br />

Punkte müssen auf die Verordnungsstufe delegiert werden, oder ihre Lösung wird<br />

nur in Umrissen angedeutet, die konkrete Ausgestaltung dagegen im Namen des<br />

Föderalismus den Kantonen überlassen. Schindler spricht von der „Aushöhlung<br />

manchen Gesetzes durch den Delegationsweg“. 9 In dem äusserst wichtigen, neuralgischen<br />

Gesetzgebungsbereich der Raumplanung wurde der B<strong>und</strong> von Verfassungs<br />

wegen gar nur auf den Erlass von „Gr<strong>und</strong>sätzen“ reduziert (Art. 22quater<br />

BV). Die Juristen betonen, dass Planungsgr<strong>und</strong>sätze des B<strong>und</strong>es einen „hohen<br />

Abstraktionsgrad“ haben müssen. Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass solche<br />

Gr<strong>und</strong>sätze eine nur geringe Normierungs- <strong>und</strong> Gestaltungskraft besitzen. – Theodore<br />

Lowi stellt fest, dass in Systemen von lnterest Group Liberalism der Gesetzgeber<br />

sich darauf beschränkt, den Vollzugsorganen Problemkataloge <strong>und</strong> Geld zur<br />

Verfügung zu stellen; was damit gemacht wird, entzieht sich seiner Gestaltungskraft.<br />

Die konkreten Resultate, die herauskommen, werden nicht vom Willen des<br />

Gesetzgebers, sondern vom Bargaining der Direktinteressierten bestimmt. 10 Ist<br />

diese Tendenzbeschreibung richtig, so verlieren Referendumsentscheide zusehends<br />

den Charakter von „Sachentscheiden“; denn selbst der wohlinformierte Fachmann<br />

kann bei der Lektüre eines Gesetzes keine Prognose mehr wagen, welche<br />

Auswirkungen der Erlass haben wird. Referendumsentscheide werden vielmehr zur<br />

„Delegation von Vertrauen“ an den Vollzugsapparat innerhalb eines bestimmten<br />

Tätigkeitsbereiches. Mit der Formel „Delegation generalisierten Vertrauens“ wird<br />

normalerweise die Bedeutung von allgemeinen Wahlen in Massendemokratien<br />

umschrieben. 11 Keineswegs darf jedoch die Vertrauensdelegation im Referendumsentscheid<br />

als äquivalent mit jener bei allgemeinen Wahlen betrachtet werden. Das<br />

Korrelat zum Vertrauen, nämlich das Misstrauen, kann im Referendumsentscheid<br />

nicht ausgedrückt werden. Jede beliebige Interpretation eines negativen Referendumsentscheides<br />

ist in der Schweiz möglich, nur nicht jene, dass die in Frage stehende<br />

Behördenorganisation das Vertrauen des Volkes nicht mehr geniesse. Damit<br />

das politische System überhaupt funktionieren kann, dürfen negative Referendumsentscheide<br />

nicht als Vertrauensentzug aufgefasst werden, dürfen sie keine<br />

personelle Konsequenzen haben. Pointiert ausgedrückt geht es bei Referenda über<br />

komplexe Vorlagen wie Planungsgesetze vorwiegend darum, ob das Volk schon<br />

bereit ist, den zuständigen Behördenapparat zu akklamieren. Verweigert es die<br />

Akklamation, so wird ihm Gelegenheit geboten, sie später nachzuholen.<br />

(3) Dass Referendumsabstimmungen zu Akklamationsübungen werden, mag ein<br />

Extremfall darstellen. Sicherlich dürfen wir jedoch von der Annahme ausgehen,<br />

dass die Abstimmungsvorlagen die Tendenz haben, komplizierter <strong>und</strong> schwerer<br />

durchschaubar zu werden. Dietrich Schindler bemerkte:<br />

9 Schindler, op. cit., S. 122.<br />

10 Lowi, op. cit., Kapitel 5 „Liberal Jurisprudence: Policy Without Law“, S. 125–156; ebenfalls: S. 290.<br />

11 Fritz Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie <strong>und</strong> Anpassung, Konstanz 1970, S. 91.

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