Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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134<br />
b) Drei Beratungsmodelle<br />
Die Diskussion im deutschen Sprachraum über das Verhältnis zwischen Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Politik <strong>und</strong> über die Probleme wissenschaftlicher Politikberatung bediente<br />
sich wiederholt dreier idealtypischer Modelle. 12 Die kursorische Erörterung der<br />
drei Modelle soll es uns gestatten, den Policy Science-Ansatz näher zu orten <strong>und</strong><br />
Anhaltspunkte zu gewinnen, die für die Beratung von Verfassungspolitik in der<br />
Schweiz von Bedeutung sind.<br />
Das dezisionistische Modell, das auf Max Weber zurückgeführt wird, betont die<br />
strikte Trennung der Funktionen des Sachverständigen <strong>und</strong> des Politikers. Der<br />
Sachverständige liefert Kenntnisse über vorhandene Mittel, während der Entscheid<br />
des Politikers über den zielgerichteten Mitteleinsatz der wissenschaftlichen Beratung<br />
entzogen bleiben muss. „Die Rationalität der Mittelwahl geht zusammen mit<br />
der erklärten Irrationalität der Stellungnahme zu Werten, Zielen <strong>und</strong> Bedürfnissen.“<br />
13 Die verschiedenen modernen Verfahren zur Rationalisierung von Entscheidfällungen<br />
heben – in einer erweiterten Fassung des Modells – den Bereich purer<br />
Dezision nicht auf, sondern schrinken ihn nur ein. Die Entscheidungshilfen reinigen<br />
die Dezision lediglich von allen Elementen, die noch irgendwie der verbindlichen<br />
Analyse für zugänglich gehalten werden. – Dem Neopositivismus mit seiner strikten<br />
Scheidung von Fakten <strong>und</strong> Werten <strong>und</strong> seiner Neigung zur Stückwerktechnologie<br />
wird Affinität zum dezisionistischen Modell nachgesagt.<br />
Im technokratischen Modell dominiert der Sachzwang, den die Experten kennen<br />
<strong>und</strong> gegen den Dezisionsanspruch der Politiker durchsetzen. Besonders durch die<br />
wissenschaftlichen Entscheidungshilfen <strong>und</strong> -strategien wird die Wahl bis ins letzte<br />
rationalisiert, so dass der Politiker zum „Vollzugsorgan einer wissenschaftlichen<br />
Intelligenz“ verblasst. Ihm verbleibt nur noch „fiktive Entscheidungstätigkeit“. – Man<br />
kann wohl sagen, dass die Wahlen-Kommission in ihrer Erörterung des „Regierungssystems“<br />
eine stark technokratische Ausrichtung zeigte. Es ging ihr vor allem<br />
darum, die Sachzwänge aufzuzeigen, welche eine signifikante Systemänderung<br />
verbieten. 14 Dem Verfassungspolitiker bleibt dabei nichts mehr übrig als die Akklamation<br />
des Status quo.<br />
Das pragmatische Modell geht davon aus, dass auch der Entscheid über Werte,<br />
Ziele <strong>und</strong> Bedürfnisse dem rationalen Diskurs zugänglich ist <strong>und</strong> der Beitrag der<br />
Wissenschaft deshalb nicht auf die blosse Mittelwahl reduziert werden darf. Es<br />
verwirft aber auch die Vorstellung, dass durch irgendwelche Techniken oder Entscheidstrategien<br />
eine vorgegebene Sachproblematik ohne Rest aufgelöst werden<br />
kann. Dieses dritte Modell postuliert vielmehr ein „kritisches Wechselverhältnis“,<br />
eine „wissenschaftlich angeleitete Diskussion“ zwischen Berater <strong>und</strong> Politiker.<br />
„Dabei wird einerseits die Entwicklung neuer Techniken <strong>und</strong> Strategien aus einem<br />
explizit gemachten Horizont von Bedürfnissen <strong>und</strong> den geschichtlich bestimmten<br />
Interpretationen dieser Bedürfnisse, von Wertsystemen also, ge-<br />
12 Jürgen Habermas, „Verwissenschaftlichte Politik <strong>und</strong> öffentliche Meinung“ (1963), in: Habermas,<br />
Technik <strong>und</strong> Wissenschaft als ‚ldeologie’, Frankfurt/M. 1968, 5. Auflage 1971, S. 120–145. Die folgende<br />
Kurzbeschreibung der drei Modelle stützt sich auf diesen Text.<br />
13 Habermas, op. cit., S. 121.<br />
14 Germann, Totalrevision (op. cit.), S. 99.