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Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac

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4. Die Ausweitung der Befragung<br />

a) Das „normale“ Vernehmlassungsverfahren<br />

Bei der Ausarbeitung gewöhnlicher B<strong>und</strong>esgesetze hat sich in der Schweiz ein<br />

„vorparlamentarisches Verfahren“ herausgebildet, das gewissen Regelmässigkeiten<br />

folgt. Starre, generell angewandte Regeln lassen sich dabei kaum feststellen,<br />

doch weist dieses Verfahren eine Struktur auf, welche einzelne Beobachter veranlasste,<br />

Verallgemeinerungen zu formulieren. Leonhard Neidhart spricht von einem<br />

„typischen Phasenablauf von Kommissionsberatung, von Verbandsanhörung <strong>und</strong><br />

wiederholter Kommissionsberatung“; er konstatiert eine „typische Rollendifferenzierung<br />

zwischen Vertretern der B<strong>und</strong>esverwaltung, zwischen den wissenschaftlichen<br />

Experten sowie den Repräsentanten der organisierten Interessen“. 1 Jean Meynaud<br />

unterscheidet folgende sechs idealtypische.Stufen im vorparlamentarischen Gesetzgebungsverfahren:<br />

(1) Konsultation interessierter Departemente innerhalb der<br />

B<strong>und</strong>esverwaltung. (2) Ein Experte oder eine kleine Gruppe von Experten erstellt<br />

ein Vorprojekt oder begutachtet ein bereits vorhandenes Vorprojekt. (3) Das verantwortliche<br />

Departement tritt mit interessierten Kantonsbehörden <strong>und</strong> Verbänden<br />

in mündliche Kontakte. (4) Bestellung einer Expertenkommission, welche einen<br />

Vorentwurf erstellt oder modifiziert. (5) Interessierte Kantone <strong>und</strong> Verbände werden<br />

eingeladen, zum Vorprojekt Stellung zu nehmen. (6) Redaktion des definitiven Projekts,<br />

das dem B<strong>und</strong>esrat <strong>und</strong> dem Parlament vorgelegt wird. 2 Wesentliches Merkmal<br />

des normalen vorparlamentarischen Verfahrens ist die starke Stellung, welche<br />

die daran beteiligten Interessenorganisationen einnehmen. Mehrere Untersuchungen<br />

haben dies bestätigt. 3 Jean Meynaud resümiert: „Certes, l’intervention des<br />

organisations n’est pas le seul élément de ce moment du travail législatif, mais, en<br />

pratique, il en est l’une des composantes f<strong>und</strong>amentales. ... Les facultés ainsi ouvertes<br />

aux groupes de défendre leur point de vue dès le départ constituent pour eux<br />

un facteurd’influence toujours précieux et parfois décisif.“ 4<br />

Das von Interessenorganisationen dominierte Gesetzgebungsverfahren hat die<br />

Tendenz, Neuerungen nur in geringen Dosen zuzulassen <strong>und</strong> eine Politik der „kleinen<br />

Schritte“ oder – in amerikanischer Terminologie – des ausgeprägten „Inkrementalismus“<br />

zu produzieren. Verschiedene Autoren haben auf diese Erscheinung<br />

hingewiesen. Theodore J. Lowi kritisiert die ausgesprochene <strong>Innovation</strong>sfeindlichkeit<br />

des Interest-Group Liberalism: „Government by and<br />

1 Leonhard Neidhart, Plebiszit <strong>und</strong> pluralitäre Demokratie. Eine Analyse der Funktion des schweizerischen<br />

Gesetzesreferendums, Bern 1970, S. 297.<br />

2 Jean Meynaud, Les organisations professionnelles en Suisse, Lausanne 1963, S. 217–279.<br />

3 Zum Agenturvertragsgesetz von 1949: Christopher Hughes, The Parliament of Switzerland, London<br />

1962; zum B<strong>und</strong>esbeschluss über die Gewährung einer Hilfe an die Holzverzuckerungs-AG (Emser<br />

Vorlage) von 1955: Beat Alexander Jenny, Interessenpolitik <strong>und</strong> Demokratie in der Schweiz. Dargestellt<br />

am Beispiel der Emser Vorlage, Zürich 1966; zur Teilrevision des Kranken- <strong>und</strong> Unfallversicherungsgesetzes<br />

von 1964: Gerhard Kocher, Verbandseinfluss auf die Gesetzgebung, Bern 1967; zu fünf<br />

verschiedenen Gesetzgebungsprojekten: Max Flückiger, Die Anhörung der Kantone <strong>und</strong> der Verbände<br />

im Gesetzgebungsverfahren, Bern 1968.<br />

4 Meynaud, op. cit., S. 275

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