Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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lichte diese Lektion insofern, als sie überhaupt die Möglichkeit bezweifelte, mittels<br />
Änderung von Verfassungsnormen Signifikantes im Staat bewirken zu können. In<br />
der Ausdrucksweise von Karl W. Deutsch müsste man die durch das Wahlen-<br />
Unternehmen verbreitete Resignation dann als „pathologisches Lernen“ 7 bezeichnen,<br />
wenn die Gr<strong>und</strong>annahme, dass Verfassungsrevision für <strong>Innovation</strong> untauglich<br />
ist, falsch sein sollte.<br />
Nicht nur durch den Verschleiss wertvoller Energie <strong>und</strong> durch die Beförderung eines<br />
möglicherweise inadäquaten Lernprozesses vermag das Wahlen-Unternehmen<br />
den derzeitigen politischen Status quo zu zementieren. Indem es die Symbole der<br />
Erneuerung einsetzt, kann es Beunruhigung über gegenwärtige Zustände beschwichtigen<br />
<strong>und</strong> Reformimpulsen die Spitze nehmen. Darauf ist noch ausführlicher<br />
einzugehen. Hier sei vorläufig nochmals festgehalten, dass ein die Staatsverfassung<br />
betreffendes Reformritual, bei dem die Chancen für tatsächliche Reformen<br />
sorgfältig amputiert worden sind, nicht die burleske Harmlosigkeit eines „Hornberger<br />
Schiessens“ besitzt.<br />
c) Die Politik mit Reformsymbolen<br />
Ein hervorstechendes Merkmal des bisherigen Revisionsunternehmens bestand in<br />
der Diskrepanz zwischen Rhetorik <strong>und</strong> faktischem Verhalten der Hauptakteure,<br />
zwischen den dem Publikum vermittelten Eindrücken <strong>und</strong> dem tatsächlichen Geschehen,<br />
zwischen den geweckten Erwartungen <strong>und</strong> den tatsächlich freigelegten<br />
Reformchancen. Eine grossangelegte Umfrage sollte die „Reaktionen des Volkes“<br />
ergründen, die sich jedoch gegenüber der Präjudizkraft externer Teilreformen als<br />
irrelevant erwiesen. In der jungen Generation sollte neues Interesse am Staat geweckt<br />
werden; sie musste sich jedoch mit einer dekorativen Rolle begnügen.<br />
Staatsbürgerliche Bildung sollte verbreitet werden; die verabfolgte Lektion aber<br />
besagte nur, dass die bestehende Verfassung in ihren Gr<strong>und</strong>zügen nicht geändert<br />
werden darf <strong>und</strong> nicht geändert werden kann. Friedrich Traugott Wahlen forderte<br />
die ETH-Studenten auf, „kühne, originelle Vorschläge“ einzubringen, „die deutlich<br />
den Stempel des Nonkonformismus tragen“; in der intimen Atmosphäre der Festschrift<br />
für einen ausländischen Kollegen dagegen schrieb Otto Konstantin Kaufmann:<br />
„Neue Gedanken werden nur in beschränktem Masse im Rahmen der Totalrevision<br />
verwirklicht.“<br />
Nicht nur Diskrepanz zwischen Worten <strong>und</strong> Taten liess sich feststellen, sondern<br />
eine Sinnstruktur, die das breite Publikum gewissen Ausdrücken <strong>und</strong> Vorkehrungen<br />
zumisst, wurde in ihr Gegenteil verkehrt. – Der juristisch Geschulte vermag wahrscheinlich<br />
zu realisieren, dass der Ausdruck „Totalrevision der B<strong>und</strong>esverfassung“<br />
unter Umständen eine leere Sprachhülse darstellen kann. Dem durchschnittlichen<br />
Bürger dagegen ist das Wort ein inhaltsstarkes Symbol. Richtig führte des Kommissionsmitglied<br />
O. K. Kaufmann aus: „Mit dem Wort ,Totalrevision’ verbindet sich . . .<br />
die Vorstellung, dass nach einer wesentlichen politischen Kursänderung die neue<br />
politische Richtung gegebenenfalls eine neue Verfassung mit neuem Gedankengut<br />
an die Stelle der bisher geltenden Verfassung setzen will, wie dies 1874 geschah.“<br />
Klarstellend fügte er hinzu: „Ein derartiger Vorgang steht jedoch nicht zur Diskussion.“<br />
8 Was faktisch zur Dis-<br />
7 Deutsch, op. cit., S. 139 f.<br />
8 Kaufmann, op. cit., S. 123.