Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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sionen wurden dabei beobachtet: (1) wirtschftliche Entwicklung, (2) Ges<strong>und</strong>heitswesen,<br />
(3) Kommunikationswesen, (4) Bildungswesen, (5) Gleichheit, (6) politische<br />
Stabilität, (7) Dezentralisierung, (8) Bevölkerungsdichte <strong>und</strong> Immigration. Zur<br />
Messung jeder Dimension standen drei bis neun, im ganzen 40 Indikatoren zur<br />
Verfügung. Die Untersuchung ergab, dass die Schweiz im Gesamtklassement an<br />
erster Stelle stand, noch vor den USA, der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland, Grossbritannien<br />
<strong>und</strong> Schweden. 27<br />
Das gute Abschneiden der Schweiz hinsichtlich der acht Dimensionen darf nicht<br />
ausschliesslich ihrem politischen System zugutegeschrieben werden. Die „Sonderbehandlung<br />
des Schicksals“, die Nichtverwicklung der Schweiz in zwei Weltkriege,<br />
dürfte ein zentraler Erklärungsfaktor sein. Je mehr die Periode der Weltkriege zurückliegt,<br />
desto mehr dürfte sich der „Schicksalsvorsprung“ der Schweiz verringern.<br />
Ja, die Spitzenposition selbst mag Ursache für künftiges Zurückfallen sein: Sie lässt<br />
die Neuerungskraft erlahmen <strong>und</strong> befördert die unkritische Vorstellung, dass das<br />
bisherige System, so wie es ist, sich bestens bewährt habe <strong>und</strong> sich weiterhin bewähren<br />
werde.<br />
Schon die Weilenmann/Deutsch-Untersuchung zeigte, dass die Schweiz in den<br />
besonders dynamischen Sektoren des Kommunikationswesens <strong>und</strong> des Bildungswesens<br />
bezüglich der Vergleichsnationen zurückstand. – Nach einer Darstellung<br />
des Schweizerischen Wissenschaftsrates rangierte die Schweiz im europäischen<br />
Vergleich 1965 erst an zwölfter Stelle hinsichtlich der Prozentzahl der<br />
Studierenden in der Altersklasse 20 bis 24. 28 – Selbst im wirtschaftlichen Bereich<br />
verlor die Schweiz an Position; in der Zeit von 1960 bis 1970 wurde sie von der<br />
B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland bezüglich Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt überr<strong>und</strong>et<br />
<strong>und</strong> fiel vom dritten in den vierten Rang zurück. 29<br />
Die Auswahl der untersuchten Dimensionen in der Weilenmann/Deutsch-Studie ist<br />
anfechtbar; wichtige Aspekte erfasst sie nicht. Im ausgehenden 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, da<br />
die Ökologieproblematik in den Vordergr<strong>und</strong> tritt, erscheint es als angemessen,<br />
Industrienationen – auch kapitalistische – an ihrer Planungskapazität zu messen. 30<br />
Die quantitative Erfassung dieser Dimension ist allerdings äusserst schwierig. Es<br />
gibt jedoch rohe, aber deutliche Indizien dafür, dass sich hier der Rückstand der<br />
Schweiz vergrössert. Erst im Jahre 1973 wurde die Schaffung einer genügenden<br />
Verfassungsgr<strong>und</strong>lage für Konjunktursteuerung „zur Entscheidung reif“. Vorher<br />
hatte man ziemlich erfolglos – mit Ausnahmerecht operiert. – „Dringliche Massnahmen<br />
auf dem Gebiete der Raumplanung“ ergingen erst im März 1972; ein Raumplanungsgesetz<br />
war im Sommer 1973, als diese Zeilen geschrieben wurden, noch<br />
nicht verabschiedet. Informierte Kreise schätzten, dass ein abger<strong>und</strong>etes Gesetzespaket<br />
über Raumplanung, inklusive das vorgesehene Gesetz über sogenannte<br />
„materielle Planungsgr<strong>und</strong>sätze“, nicht<br />
27 Steiner, Gewaltlose Politik (op. cit.), S. 267,<br />
28 Wissenschaftspolitik. Mitteilungsblatt des schweizerischen Wissenschaftsrates, Jg. 2, April 1968, Heft<br />
2, S. 11, zitiert bei Steiner, Gewaltlose Politik (op. cit.), S. 268.<br />
29 The Economist, 5. September 1970, S. 69; siehe auch: Ronald Inglehart, „The Silent Revolution in<br />
Europe: Intergenerational Change in Post-Industrial Societies“, APSR, Vo1.65, No.4, Dezember 1971,<br />
S. 998.<br />
30 Über vergleichende Planung siehe die ausgezeichnete Studie von Andrew Shonfield, Modern Capitalism,<br />
The Changing Balance of Public and Private Power, Oxford University Press, London 1965 (2.<br />
Auflage 1969).