Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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spricht vom „Funktionsverlust des fakultativen Referendums“ <strong>und</strong> beschreibt den<br />
Übergang von der „Abstimmungsdemokratie“ zu dem, was er euphemistisch „Verhandlungsdemokratie“<br />
nennt. – Der Satz, wonach die Chance auf eine Referendumsabstimmung<br />
um so mehr absinkt, je wichtiger ein Gesetz ist, lässt sich plausibel<br />
machen: Sobald eine Vorlage wichtige Interessen von „referendumsfähigen“<br />
Verbänden berührt, zieht sich das legislatorische Bargaining zwischen diesen Verbänden<br />
in die Länge. Eine Kompromissformel zu finden, erweist sich als schwierige<br />
Aufgabe. Die schliesslich gef<strong>und</strong>ene Formel dem Risiko eines negativen Volksentscheides<br />
auszusetzen, muss von den beteiligten Akteuren als untragbar empf<strong>und</strong>en<br />
werden. Wenn die Revisionsverhandlungen für ein Gesetz 18 Jahre gedauert haben<br />
(wie im Falle des Kranken- <strong>und</strong> Unfallversicherungsgesetzes von 1946 bis<br />
1964), muss ein „Scherbenhaufen“, den das Volk bescheren könnte, unter allen<br />
Umständen vermieden werden. – Der durch das fakultative Referendum strukturierte<br />
politische Prozess tendiert nicht auf den Einbezug des Bürgers in das Entscheidungsverfahren,<br />
sondern auf dessen Ausschluss.<br />
(5) Staatliche Entscheidungsprozesse in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft<br />
haben die Tendenz, komplizierter zu werden <strong>und</strong> länger zu dauern. Die Institution<br />
des fakultativen Referendums verstärkt diese Tendenz, weil möglichst alle „referendumsfähigen“<br />
Gruppen in den Entscheidungsprozess einbezogen <strong>und</strong> beschwichtigt<br />
werden müssen. Erscheinen die Chancen für einen Kompromiss als ungenügend,<br />
so wird ein Problem erst gar nicht aufgegriffen oder ein Verfahren sistiert. Nur<br />
unter extremem Bedürfnisdruck werden Vorlagen „reif“ <strong>und</strong> enthalten dann meistens<br />
nur minimale <strong>Innovation</strong>sschritte. In wichtigen Gesetzgebungsberei;.hen wie<br />
Konjunkturpolitik <strong>und</strong> Raumplanung pflegt der „Zeitdruck“ durch diese Mechanismen<br />
derart anzuwachsen, dass zur Ausnahmegesetzgebung nach Artikel 89bis der<br />
B<strong>und</strong>esverfassung geschritten werden muss. Dieser Verfassungsartikel ermöglicht<br />
Gesetzgebung unter befristetem Ausschluss des Referendums. Der „B<strong>und</strong>esbeschluss<br />
über dringliche Massnahmen auf dem Gebiet der Raumplanung“ vom 17.<br />
März 1972 beispielsweise, hastig redigiert <strong>und</strong> von improvisierten Amtsstellen in<br />
sehr kurzer Frist durchgeführt, brachte schwerwiegende, gelegentlich irreversible<br />
Eingriffe. Das später folgende ordentliche Raumplanungsgesetz erscheint weitgehend<br />
determiniert durch die faits accomplis, welche die „dringlichen Massnahmen“<br />
schufen. – Gelangt eine wichtige Vorlage infolge eines „Betriebsunfalles“ trotz aller<br />
referendumsfeindlichen Mechanismen in die Volksabstimmung, so steht der Bürger<br />
kaum mehr vor einer sinnvollen Wahl. Eine unerlässliche, bereits verspätete Massnahme,<br />
auch wenn sie ungenügend ist, kann man nur verwerfen, wenn man das<br />
Odium der Sabotage auf sich ziehen will. 16<br />
Strukturwandel der Gesetze, wachsende Komplexität politischer Probleme, Gesetzesinflation,<br />
Strategie der Referendumsvermeidung <strong>und</strong> Verspätungssyndrom<br />
sind die Mechanismen, welche die durch das fakultative Referendum gebotenen<br />
direktdemokratischen Partizipationsrechte entwertet haben. Berücksichtigt man das<br />
obligatorische Verfassungsreferendum, so verbessert sich das Bild kaum. Die üblichen<br />
Partialrevisionen der Verfassung gestatten dem Bürger<br />
16 Siehe dazu: Imboden, Malaise (op. Cit.), S. 22 f.; Schindler, op. cit., S. 118 f.