Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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wirksam zu machen sind. – Praktisch muss sich eine gestrenge neopositivistische<br />
Politologie jedoch aus einer Verfassungsdiskussion heraushalten, <strong>und</strong> dies ausfolgenden<br />
Gründen.<br />
(1) Gesichertes nomologisches Wissen über das Funktionieren von staatlichen<br />
Institutionen oder Institutionenkombinationen ist zurzeit nicht oder äusserst spärlich<br />
vorhanden. Die Produktion dieses Wissens würde, wenn überhaupt möglich, sehr<br />
lange Zeit in Anspruch nehmen. Ein neopositivistischer Verfassungsberater müsste<br />
wie der Jurist Kurt Eichenberger erklären, dass „der Motor der Totalrevision verfrüht<br />
angekurbelt“ worden sei. 13<br />
(2) Die Bereitstellung des für eine Totalrevision erforderlichen nomologischen Wissens<br />
würde wahrscheinlich auf unüberwindliche praktische Schwierigkeiten stossen.<br />
Um bei der Analyse gewisse Faktoren konstant halten zu können, was unerlässlich<br />
wäre, müsste die Zahl der zu vergleichenden Länder sehr klein gehalten<br />
werden. So könnten, um brauchbares Wissen für die Schweiz zu erhalten, sinnvollerweise<br />
nur „hochindustrialisierte Kleinstaaten der Gegenwart“ in die Untersuchung<br />
einbezogen werden. Dies aber würde die Zahl der Falsifikationsmöglichkeiten in<br />
einer Weise reduzieren, dass die Chance auf „gesichertes Wissen“ zerrönne.<br />
(3) In praktischer Konsequenz führt das genannte Wissenschaftsverständnis zu<br />
einer Bevorzugung übersichtlicher, isolierter Detailfragen in der Forschung, da die<br />
Untersuchung von Gegenständen mit hohem Komplexitätsgrad generell auf beinahe<br />
unüberwindliche technische Schwierigkeiten stösst. Gesichertes nomologisches<br />
Wissen, das beispielsweise für eine globale <strong>Verfassungsreform</strong> verwertbar wäre,<br />
die über eine blosse „staatsrechtliche Detailpflege“ hinausgehen will, lässt sich<br />
praktisch nicht produzieren. Die analytische Wissenschaftstheorie hat daher eine<br />
ausgesprochene Affinität zur „Stückwerktechnologie“ im Bereich des Sozialen, <strong>und</strong><br />
die Neigung vieler Neopositivisten ist verständlich, globale Reformen überhaupt als<br />
verwerflich einzuschätzen. Karl R. Popper verteidigt das, was er „die von Fall zu<br />
Fall angewendete Sozialtechnik, die Sozialtechnik der Einzelprobleme, die Technik<br />
des schrittweisen Umbaus der Gesellschaftsordnung oder die Ad-hoc-Technik“<br />
nennt, in folgender Weise:<br />
„Das soziale Leben ist so kompliziert, dass nur wenige Menschen oder überhaupt<br />
niemand fähig ist, den Wert eines Bauplans für soziale Massnahmen im<br />
grossen Massstab richtig einzuschätzen; ob er praktisch ist; ob er zu einer wirklichen<br />
Verbesserung führen kann; welche Leiden aller Wahrscheinlichkeit nach<br />
mit ihm verb<strong>und</strong>en sein werden <strong>und</strong> welche Mittel zu seiner Verwirklichung führen.<br />
Im Gegensatz dazu sind Pläne für einen schrittweisen Umbau der Gesellschaftsordnung<br />
relativ einfach zu beurteilen. Es sind dies ja Pläne für einzelne<br />
Institutionen, zum Beispiel für die Kranken- oder Arbeitslosenversicherung, für<br />
Schiedsgerichte, für Budgetvoranschläge zur Bekämpfung von Depressionen<br />
oder für Erziehungsreform. Wenn sie fehlschlagen, dann ist der Schaden nicht<br />
allzu gross <strong>und</strong> eine Wiederherstellung oder Ajustierung nicht allzu schwierig.<br />
Derartige Entwürfe sind weniger riskant <strong>und</strong> gerade aus diesem Gr<strong>und</strong>e weniger<br />
umstritten. Wenn sich aber eine Einigung in bezug auf die bestehenden Ü-<br />
bel <strong>und</strong> die Mittel zu ihrer Bekämpfung leichter erreichen lässt als eine Einigung<br />
über ein ideales Gut <strong>und</strong> über die Mittel zu<br />
13 Siehe oben, 1. Teil, S. 79.