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Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac

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sollen. Im Durchschnitt waren indessen die französischen Regierungen der Vierten<br />

noch kurzlebiger als jene der Dritten Republik. Der Übergang zur Fünften<br />

Republik erfolgte in einem Klima der Gewalt.<br />

In der Zeit von 1945–1950 legten sich gegen 50 Staaten neue Verfassungen zu. 6<br />

Sowohl die Zweite Welt der sozialistischen Länder wie die Dritte der sogenannten<br />

Entwicklungsländer fand es gleichermassen notwendig, sich mit Verfassungsdokumenten<br />

auszustatten. Karl Loewenstein bezeichnete diese Inflation von geschriebenen<br />

Verfassungen schlicht als „Verfassungsepidemie“ <strong>und</strong> führte in seiner „Verfassungsontologie“<br />

die Unterscheidung zwischen „normativen“, „nominalistischen“<br />

<strong>und</strong> „semantischen“ Verfassungen ein. Darnach sind als normativ jene Verfassungen<br />

anzusehen, die mit der politischen Wirklichkeit übereinstimmen <strong>und</strong> wirklich<br />

befolgte Spielregeln für den politischen Prozess liefern. Eher ein politisches Programm,<br />

das sich in der Zukunft verwirklichen soll, ist die nominalistische Verfassung;<br />

sie wartet gutgläubig darauf, dass sich die politischen Verhältnisse einmal<br />

ihren Anordnungen fügen werden. Die semantische Verfassung kommt zwar vollständig<br />

zur Anwendung, ist aber nichts anderes als die fortwährende Bestätigung<br />

des augenblicklichen Machtzustandes. Sie bildet nicht den objektiven Rahmen für<br />

das Kräftespiel <strong>und</strong> den Machtausgleich im politischen System; sie ist Fassade,<br />

hinter der sich der politische Prozess nach eigenen Gesetzen abspielt. 7 – Das Hervortreten<br />

der symbolischen oder rituellen Bedeutung zahlreicher Verfassungen aus<br />

der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die Idee zum Verblassen, das Gemeinwesen<br />

durch Verfassungsrecht gr<strong>und</strong>legend gestalten zu wollen.<br />

Neue Erkenntnisse der Politikwissenschaft reduzierten das Interesse an formalen<br />

Verfassungseinrichtungen. 1951 verkündete Maurice Duverger, dass für die Kenntnis<br />

eines politischen Systems das Studium des Parteiengefüges wichtiger sei als<br />

Verfassungsanalyse: „Qui connaît le droit constitutionnel classique et ignore le rôle<br />

des partis, a une vue fausse des régimes politiques contemporains; qui connaît le<br />

rôle des partis et ignore le droit constitutionnel classique, a une vue incomplète<br />

mais exacte des régimes politiques contemporains.“ 8 Harry Eckstein fasste 1963<br />

die neue Optik wie folgt zusammen:<br />

„Nowadays, however, much more is attributed to the social forces than in the<br />

past. Wie simply know too much now about the ways in which constitutional<br />

contrivances can be vitiated. They may be modified by usage, coming to embody<br />

more and more the very political habits they are supposed to shape. They<br />

may simply be ignored in practice – as the power of the executive to dissolve<br />

parliament atrophied from disuse in the Third Republic. Behavior may simply not<br />

fully conform to them. We also know a good deal now about the obscure and<br />

complicated forces that govern the distribution of power and the competition for<br />

offices and policy in any society; about the role and influence of informal political<br />

processes, like those of pressure groups; and about the importance of ‚political<br />

culture’,<br />

6 Eckstein, op. cit., S. 102.<br />

7 Karl Loewensteln, Verfassungslehre, Tübingen 1959, S. 151 ff.; derselbe, „Verfassungsrecht <strong>und</strong> Verfassungsrealität“,<br />

in: derselbe, Beiträge zur Staatssoziologie, S. 447; derselbe, „Reflections on the Value<br />

of Constitutions in our Revolutionary Age“, in: Eckstein/Apter, op. cit., S. 154.<br />

8 Maurice Duverger, Les partis politiques, Paris 1951 (7. Auflage 1969), S. 388.

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