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Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac

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197<br />

eine Regierung zu wählen. 19 – Auch in der Schweiz ist die Mehrheitswahl nicht<br />

mehr gänzlich tabu. In der Begründung seiner Motion betreffend Wahlrechtsreform<br />

vom 20. März 1969 erklärte der CVP-Nationalrat Julius Binder, dass er „persönlich<br />

durchaus ein Anhänger des Majorzverfahrens“ sei; nur aus Gründen der politischen<br />

Realisierbarkeit schlage er ein Wahlsystem nach westdeutschem Muster vor. 20<br />

Beachtlich ist dabei, dass die CVP ein halbes Jahh<strong>und</strong>ert zuvor zusammen mit der<br />

SP für den Proporz gekämpft hatte.<br />

Auf die Details des vorgeschlagenen Wahlverfahrens braucht hier nicht eingegangen<br />

zu werden. Immerhin ist zu postulieren, dass überparteiliche Fachleute nach<br />

generellen Kriterien die Wahlkreiseinteilung vornehmen <strong>und</strong> diese in regelmässigen<br />

Abständen an eventuelle Bevölkerungsverschiebungen anpassen. Die Einwohnerzahl<br />

in einem Wahlkreis dürfte vom Durchschnitt nur innerhalb einer bestimmten,<br />

klein zu haltenden Marge abweichen. Bei Kleinstkantonen müsste wahrscheinlich<br />

zugelassen werden, dass Wahlkreise Kantonsgrenzen überschreiten. Nützliche<br />

Vorarbeiten für eine solche Wahlkreiseinteilung leistete der ehemalige Direktor des<br />

Eidg. Statistischen Amtes, Anton Meli, der im Auftrag der Buser-Kommission eine<br />

Simulation von Majorzwahlen auf der Gr<strong>und</strong>lage der Nationalratswahlen von 1971<br />

erstellte. 21<br />

Die erwähnte Simulationsrechnung zeigt einen Konzentrationsprozess zuungunsten<br />

der im B<strong>und</strong>esrat nicht vertretenen Kleinparteien sowie erhebliche Sitzgewinne für<br />

die drei bürgerlichen Regierungsparteien an: die SP dagegen würde mehr als einen<br />

Viertel ihrer jetzigen Sitze im Nationalrat verlieren. – Die Simulation von Meli ist<br />

allerdings mit Vorbehalten aufzunehmen. Ihre Annahmen sind teilweise nicht sehr<br />

realistisch <strong>und</strong> teilweise zu wenig differenziert. Nicht vertretbar ist beispielsweise<br />

die (nicht explizit gemachte) Annahme, dass die Einführung der Mehrheitswahl zu<br />

keinen Änderungen im Wählerverhalten <strong>und</strong> in den Wahlstrategien der Parteien<br />

führen würde. Die wichtige Unterscheidung zwischen „Hochburg-Wahlkreisen“ <strong>und</strong><br />

„Wechselwahlkreisen“ fehlt in der Simulation. Die Ungenauigkeit wird zusätzlich<br />

erhöht, da die 9 grössten Städte mit total 45 Mandaten keine Einerwahlkreise erhielten,<br />

sondern dort Sitzverteilung nach Proporz stipuliert wurde. Die Verteilung<br />

von knapp einem Viertel der Sitze erfolgte somit gar nicht nach Majorz.<br />

(2) Hierarchische Abhebung des B<strong>und</strong>espräsidenten<br />

Der jetzige B<strong>und</strong>esrat bietet sich geradezu der Proporzionalisierung an. Seine sieben<br />

Mitglieder sind einander gleichgestellt; der Präsident besitzt nur unbedeutende<br />

Prärogativen, <strong>und</strong> sein Amt rotiert im Jahresrhythmus nach Anciennitätsregel. –<br />

Wird das Präsidentenamt hierarchisch abgehoben <strong>und</strong> mit erheblichen Prärogativen<br />

ausgestattet, so erhält jene Partei, die es zu besetzen vermag, erhöhtes Gewicht.<br />

Koalitionsregierungen bleiben zwar möglich, nicht aber die Totalpropartionalisierung<br />

nach heutigem Muster. Lässt sich eine Regierung<br />

19 Karl-Heinz Nassmacher, Das österreichische Regierungssystem. Grosse Koalition oder alternierende<br />

Regierung, Köln/Opladen 1968, S. 173.<br />

20 Die Motionsbegründung ist abgedruckt in: Bericht der Studienkommission zur Prüfung von Reformvorschlägen<br />

für die Wahl des Nationalrats <strong>und</strong> das Stimmrechtsalter, August 1972, S. 71–74. (Die genannte<br />

Kommission stand unter dem Vorsitz von Vizekanzler W. Buser; der Bericht wird daher im folgenden<br />

„Buser-Bericht“ genannt.)<br />

21 Buser-Bericht, S. 85–112.

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