Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
146<br />
Teile“ zu reden. – Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass bezüglich des vorgeschlagenen<br />
Reformfeldes in jüngster Zeit Reformbedürfnisse in beschleunigter<br />
Kadenz angemeldet wurden. Reformen von Regierung, Parlament, Verwaltung,<br />
Referendum, Parteien waren in den letzten Jahren Gegenstand von parlamentarischen<br />
Vorstössen <strong>und</strong> Regierungsmassnahmen in bisher nicht gesehener Häufung.<br />
– In der Umfrage der Wahlen-Kommission brachten r<strong>und</strong> 60 Prozent der befragten<br />
Instanzen im ganzen 56 als „radikal“ zu bezeichnende Reformvorschläge im Bereich<br />
unseres Reformfeldes ein.<br />
Innerhalb des ausgeschiedenen Feldes ist es nicht allzu schwierig, zwei Dimensionen<br />
der Reformproblematik zu erkennen. Die beiden Dimensionen lassen<br />
sich in vorerst vager Grobcharakterisierung mit „Krise der Demokratie“ <strong>und</strong> mit<br />
„Krise der staatlichen Leistungsfähigkeit“ umschreiben. In seinem Büchlein Helvetisches<br />
Malaise 3 , das zur Auslösung der Totalrevisionsdebatte in der Schweiz wesentlich<br />
beitrug, sprach Max Imboden einerseits von „verweigerter demokratischer<br />
Teilnahme“ sowie von „fehlenden <strong>und</strong> fragwürdigen Volksrechten“ <strong>und</strong> anderseits<br />
von der „abnehmenden Leistung von Staat <strong>und</strong> Verwaltung“. – Im folgenden sollen<br />
die beiden Dimensionen der Reformproblematik kurz skizziert werden. Ein theoretisch<br />
vertiefter Analyseansatz sei später versucht.<br />
a) Krise der Demokratie<br />
Nach dem in der westlichen Welt dominierenden Demokratieverständnis gehört es<br />
zur Substanz der Demokratie, dass der Bürger in regelmässigen Abständen mit<br />
dem Wahlzettel direkt oder indirekt Einfluss nehmen kann auf die personelle Zusammensetzung<br />
der Regierung. Ihrem Wortlaut nach widerspricht die schweizerische<br />
B<strong>und</strong>esverfassung diesem Gr<strong>und</strong>satz zwar nicht, in der Staatspraxis ist er<br />
jedoch ausser Kraft gesetzt. Das sogenannte „Kollegialitätsprinzip“, das sieben<br />
gleichgestellte Regierungsmitglieder verlangt, ermöglicht „Koalitionsregierungen<br />
ohne Koalitionsvertrag“. 4 B<strong>und</strong>esräte werden faktisch auf Lebenszeit gewählt; dem<br />
einzelnen Regierungsmitglied ist es überlassen, den Zeitpunkt seines Ausscheidens<br />
aus dem Amt selbst zu bestimmen. 5 Das Parlament ernennt B<strong>und</strong>esräte einzeln,<br />
nach Massgabe der anfallenden Vakanzen, ohne Bezug auf ein Partei- oder<br />
Regierungsprogramm, ohne Bezug auf die Anschauungen der bereits amtierenden<br />
B<strong>und</strong>esräte. Die durch das Proporzwahlrecht bedingte Stabilisierung der Parteistärken<br />
führte zu einem festen Verteilungsschlüssel, nach welchem die Regierungssitze<br />
den vier grössten Parteien zuerkannt werden<br />
2 Neidhart, Plebiszit (op. cit.); Klaus Schumann, Das Regierungssystem der Schweiz, Köln 1971; Erich<br />
Gruner, Die Parteien in der Schweiz, Bern 1969, besonders S. 25–43.<br />
3 Max Imboden, Helvetisches Malaise, Zürich 1964, S. 6 ff., 11 ff., 19 ff.<br />
4 Erich Gruner, Regierung <strong>und</strong> Opposition im schweizerischen B<strong>und</strong>esstaat, Bern 1969, S. 36.<br />
5 Unter der Verfassung von 1848 wurden im ganzen zwei die Wiederwahl suchende B<strong>und</strong>esräte nicht<br />
wiedergewählt: Ochsenbein <strong>und</strong> Challet-Venel. Siehe: Karl Stengel, „B<strong>und</strong>esräte in Ungnade“, NZZ, Nr.<br />
84, 20.2.73, S. 17. Unter der derzeitig geltenden Verfassung von 1874 wurden atle Regierungsmitglieder,<br />
die sich zur Wiederwahl stellten, bestätigt.