Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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der Flugzeugbeschaffungsfrage. 36 Am 9. September 1972 beschloss der B<strong>und</strong>esrat<br />
nach einem sechsjährigen Evaluationsverfahren, das zwischen 20 <strong>und</strong> 30 Millionen<br />
Franken gekostet hatte, keinen der evaluierten Flugzeugtypen zu beschaffen. Für<br />
seinen Entscheid führte er vorwiegend finanzpolitische Überlegungen an. 37 Die<br />
Frage, ob der „Corsair“-Entscheid des B<strong>und</strong>esrates angemessen war oder nicht, sei<br />
hier nicht aufgeworfen. Bemerkenswert ist jedoch die Tatsache, dass die Regierung<br />
ihre Rüstungsexperten jahrelang auf der Gr<strong>und</strong>lage von Voraussetzungen arbeiten<br />
liess, die sie nachträglich als nicht mehr gültig bezeichnete. Die Corsair-Affäre illustriert<br />
unsere These, dass eine erspriessliche Artikulierung des Verhältnisses zwischen<br />
politisch Verantwortlichen <strong>und</strong> Experten in der Schweiz ausserordentlich<br />
schwierig ist.<br />
e) Die Gestaltungskraft von Verfassungsrecht<br />
Wir wissen wenig über die Gestaltungskraft von Rechtsvorschriften. Yehezkel Dror<br />
führte aus:<br />
„The use of law as an instrument of directed social change is widespread in all<br />
contemporary societies whether <strong>und</strong>erdeveloped or postindustrial, democratic or<br />
totalitarian. But both our systematic knowledge of how to use effectively and efficiently<br />
law, in order to achieve more of our goals, and our practical state of the<br />
art of doing so, approximate zero.“ 38<br />
Gemäss unserem ersten Standard für die Konstruktion heuristischer Verfassungsmodelle<br />
sind jedoch die Annahmen über die Gestaltungskraft von Verfassungsrecht<br />
explizit zu machen. Die vorgelegte Charakterisierung des derzeitigen Regierungssystems<br />
der Schweiz sowie die Ausführungen über die bisher praktizierte inkrementalistische<br />
Reformstrategie gestatten uns, diese Annahmen einigermassen klar zu<br />
fassen. Vorerst sei indessen noch auf die Null-Hypothese eingegangen, die besagt,<br />
dass Verfassungsrecht keine oder nur eine sehr geringe Gestaltungskraft besitzt.<br />
(1) Die Null-Hypothese<br />
Die Wahlen-Kommission zeigte sich betont skeptisch gegenüber der Möglichkeit,<br />
mit Verfassungsrecht den politischen Prozess in der Schweiz signifikant zu gestalten.<br />
Dem Verfassungsgesetzgeber bleibt nach Auffassung dieser Kommission nicht<br />
viel anderes übrig, als fürstenspiegelähnliche Ermahnungen an die politischen Akteure<br />
zu richten <strong>und</strong> zu hoffen, dass diese sich daran halten. 39 – Die Huber-<br />
Kommission vertrat den gleichen Gr<strong>und</strong>gedanken <strong>und</strong> stellte ihrem Gutachten einen<br />
Abschnitt voran unter dem Titel: „Die begrenzte Lenkungskraft von Rechtsvorschriften“.<br />
Darin heisst es unter anderem:<br />
36 Der zurückgetretene Rüstungschef Heiner Schulthess gewährte der Schweizer Illustrierten (siehe Nr.<br />
vom 18.9.1972) ein Interview <strong>und</strong> verhehlte dabei seinen Unmut nicht.<br />
37 Siehe die Stellungnahme von B<strong>und</strong>espräsident Celio im Nationalrat vom 4.10.1972 (NZZ, Nr. 465,<br />
5.10.1972, S. 15 f.).<br />
38 Dror, op. cit., S. 169 (Einleitung zum Kapitel „Law as an Instrument of Directed Social Change: A<br />
Framework for Policymaking“).<br />
39 Siehe oben S. 106 ff.