Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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Ziel oder Zielsystem stufenweise einer Präzisierung zugeführt werden, indem es mit<br />
Lösungsmöglichkeiten konfrontiert wird; „erst mit der prinzipiell absehbaren Lösung<br />
ist das Ziel des Projekts endgültig definiert“ (Habermas).<br />
Als ersten Schritt bei der Zielklärung in einem Totalrevisionsunternehmen schlagen<br />
wir vor, ein vorläufiges „Reformfeld“ (oder in anderer Terminologie: einen „Entscheidungsbereich“,<br />
eine „decision area“ 1 ) auszuscheiden, das jene Institutionen<br />
umfasst, welche gr<strong>und</strong>sätzlich der In-Frage-Stellung ausgesetzt werden sollen. Es<br />
steht „Randbedingungen“ gegenüber, welche bei der Zielverwirklichung zu berücksichtigen<br />
sind.<br />
Tabelle 11 zeigt eine solche Ausscheidung. Als Reformfeld wird ein Bereich vorgeschlagen,<br />
der sich ungefähr deckt mit dem, was wir im ersten Teil als „Regierungssystem“<br />
bezeichneten. Regierung, Parlament, Referendum, Initiative, Wahlrecht,<br />
Parteien, Interessengruppen, Kompetenzausscheidung zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kantonen<br />
befinden sich – stichwortartig aufgezählt – im „Feld“, das Gegenstand der Reformdiskussion<br />
sein soll.<br />
Unter den „Randbedingungen“ figuriert vorerst eine Liste von vage umschriebenen<br />
Werten. Sie besagen, dass gr<strong>und</strong>legende Errungenschaften des schweizerischen<br />
Staates durch die Totalrevision nicht beeinträchtigt werden dürfen. Dazu gehören<br />
die demokratisch-freiheitliche Gr<strong>und</strong>ordnung, Rechtsstaatlichkeit, Wohlfahrt, politische<br />
Stabilität, gewaltlose Konfliktregelung <strong>und</strong> ähnliches. Der Katalog wird später<br />
die Gesichtspunkte für die Bewertung des in den Konturen bereits sichtbaren Verfassungsmodells<br />
liefern <strong>und</strong> so zur zusätzlichen Präzisierung des Modells beitragen.<br />
Als Randbedingungen erscheinen des weiteren alle jene Institutionen <strong>und</strong> Normenkomplexe,<br />
die zur „Reduktion von Komplexität“, zur „strategischen Vereinfachung“<br />
aus dem Reformfeld ausgeschieden wurden.<br />
Ein Reformfeld auszuscheiden, ist nicht gänzlich ohne Willkür möglich. Immerhin<br />
lassen sich für unsern Vorschlag folgende Gründe anführen: Das Feld erscheint als<br />
weit genug, um Raum für „relativ umfassende operationalisierbare Reformziele“ 1a<br />
zu lassen, welche einer Totalrevision demokratische Legitimität zu verleihen vermögen.<br />
Auch die Anforderung, einen praktisch noch überschaubaren Reformbereich<br />
auszuscheiden, dürfte erfüllt sein. – Bei den Normenkomplexen, die zur Vereinfachung<br />
der Debatte den Status von Randbedingungen erhalten, handelt es sich fast<br />
durchwegs um solche, die der „staatsrechtlichen Detailpflege“ besonders zugänglich<br />
sind. Senkung des Stimmrechtsalters um zwei Jahre, Modifikation der Gerichtsorganisation,<br />
Steuervereinheitlichung, Entkriminalisierung der Dienstverweigerung<br />
aus Gewissensgründen <strong>und</strong> ähnliches sind Probleme, die ohne Schaden<br />
isoliert betrachtet werden können. Für Reformen dieses Typs wird meist nicht gleich<br />
eine totale Verfassungsrevision vorgeschlagen, <strong>und</strong> es dürften sich wahrscheinlich<br />
keine Fälle nachweisen lassen, wo wegen solcher Probleme eine Staatsverfassung<br />
durch eine neue ersetzt wurde. – Anderseits darf bei den Institutionen, die ins Reformfeld<br />
einbezogen wurden, eine sehr hohe Interdependenz vermutet werden.<br />
Neueste Untersuchungen haben bestätigt, dass die Ausgestaltung von semidirekter<br />
Demokratie, Regierung <strong>und</strong> Parlament sowie die Aktionsweisen von Parteien <strong>und</strong><br />
1 Zum Problem siehe: Fritz W. Scharpf, Planung als politischer Prozess. Aufsätze zur Theorie der planenden<br />
Demokratie, Frankfurt/M 1973, S. 101 ff., mit Literaturangaben.<br />
1a Siehe oben S. 21 ff.