Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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gesprochen „elitären Charakter“ der Kantonalkommissionen hervor. 39 – Für die<br />
Vermutung, dass die politischen Routiniers oder die Spezialisten der Tagespolitik<br />
eine starke Vorliebe für den verfassungsrechtlichen Status quo haben, gibt es einige<br />
empirische Indizien. In einigen Kantonen nahmen die Regierungen Stellung zu<br />
den Ergebnissen ihrer verwaltungsexternen Verfassungs-Kommissionen. Leonhard<br />
Neidhart stellte fest, dass diese Regierungen meist konservativer argumentierten<br />
als ihre Kommissionen. 40 – Delley isolierte folgende fünf Kantone, in deren Kommissionen<br />
der Anteil an Regierungsräten <strong>und</strong> Beamten am höchsten war: Nidwaiden,<br />
Basel-Stadt, Basel-Land, Luzern <strong>und</strong> Genf. 41 Der <strong>Innovation</strong>sindex m dieser<br />
Gruppe beträgt 0,2. Zählt man Zürich <strong>und</strong> Appenzell-Innerrhoden zu dieser Gruppe<br />
hinzu, so ergibt sich ein m-Wert von knapp 0,3. Es scheint, dass Neidhart hinsichtlich<br />
der Kantonsvernehm-lassungen mit Recht zu folgendem Schluss gelangt ist:<br />
„Je näher die Befragten der Politik stehen, desto weniger vermögen sie das Bestehende<br />
offenbar kritisch zu reflektieren <strong>und</strong> desto geringer scheint die Bereitschaft<br />
zu überzeugenden Reformen.“ 42 – Der sehr bescheidene <strong>Innovation</strong>sindex aller<br />
Kantone von m = 1,0 muss unter anderem auf dem Hintergr<strong>und</strong> der Tatsache gesehen<br />
werden, dass fast die Hälfte des Kommissionspersonals in Exekutiven <strong>und</strong><br />
Legislativen der verschiedenen Stufen tätig war.<br />
Hier dürfte der Einwand erfolgen, dass Mitglieder der Exekutiven <strong>und</strong> Legislativen in<br />
B<strong>und</strong>, Kantonen <strong>und</strong> Gemeinden schliesslich demokratisch legitimiert sind, „das<br />
Volk“ zu vertreten. Wie repräsentativ ihre Meinung indessen für jene der breiten<br />
Bevölkerung ist, stellt ein Problem dar, dass der empirischen Untersuchung zugänglich<br />
wäre. Vorläufig liegen noch keine gründlichen Studien über diese Frage<br />
vor. Immerhin hat eine Meinungsumfrage ergeben, dass 51 Prozent, also die Mehrheit<br />
der schweizerischen Bevölkerung die Ansicht vertritt: „Unsere politischen Einrichtungen<br />
sind zum Teil veraltet, wir müssen umfassende Reformen durchführen.“<br />
43 – Diese Mehrheitsmeinung kontrastiert in seltsamer Weise mit der Tatsache,<br />
dass gesamthaft 11 Kantone, die zusammen 41 Prozent der Bevölkerung beherbergen,<br />
Status-quo-Vernehmlassungen einreichten <strong>und</strong> dass weitere 8 Kantone mit<br />
40 Prozent der Bevölkerung sich mit Vernehmlassungen begnügten, die im Bereich<br />
des „Regierungssystems“ einen einzigen als radikal zu qualifizierenden Vorschlag<br />
aufwiesen. Nur 19 Prozent der Bevölkerung wurden durch Verfassungskommissionen<br />
repräsentiert, die zwei oder mehr „radikale“ Vorschläge einbrachten.<br />
Möglicherweise erachtete es die Wahlen-Kommission als unvereinbar mit der „Souveränität<br />
der Kantone“, detaillierte Verfahrensrichtlinien für die Ausarbeitung der<br />
Vernehmlassungen zu erlassen. (Dieses Argument könnte nicht überzeugen; denn<br />
jedem Kanton wäre es freigestanden, entweder unter Befolgung der Richtlfnien zu<br />
antworten, oder aber gänzlich auf eine Vernehmlassung zu verzichten.) – Jedenfalls<br />
hätten mehrere Kantone wohldurchdachte, die Re-präsentativität der Antworten<br />
verbessernde Richtlinien gut gebrauchen können. Jean-Daniel Delley resümierte:<br />
39 Delley, op. cit., S. 19.<br />
40 Leonhard Neidhart, „Wahlen-Report – 2200 Seiten Innenpolitik“, Tages-Anzeiger, 19.12.1970, S. 43.<br />
41 Delley, op. cit., S. 22.<br />
42 Neidhart, „Wahlen-Report“ (op. cit.), S. 43.<br />
43 Schmidtchen, Schweizer <strong>und</strong> Entwicklungshilfe (op. cit.), Bd. I, S. 52.