Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
133<br />
klärte schon 1944, dass die Politik keine Fristerstreckungen gewähren könne, „until<br />
eventually a lagging social science has collected enough detailed data for shouldering<br />
its part of responsibility for social action“. 5 Die Praxis in allen hochindustrialisierten<br />
Ländern zeigt zudem, dass Politikberatung durch Wissenschafter einen gewaltigen<br />
Umfang angenommen hat, der weit über das nach neopositivistischem Programm<br />
Zulässige hinausgeht. Die neuen Beratungstechniken, welche die Rationalität<br />
politischer Entscheidfällung erhöhen sollen (Scenario-Writing, Konferenzmethode,<br />
Delphi-Verfahren, Systemanalyse, Entscheidflussdiagramm, Simulation, Operations<br />
Research, PPBS usw. 6 ), lassen sich meist nicht oder nur teilweise unter den<br />
neopositivistischen Kanon subsumieren.<br />
Der Ansatz, der auf diese gr<strong>und</strong>legende Problematik eingeht, wird auf englisch<br />
„Policy Science(s)“ <strong>und</strong> auf deutsch „beratende oder anwendende Sozialwissenschaft“,<br />
auch „wissenschaftliche Politikberatung“ genannt. 7 Die verschiedenen<br />
Spielarten von Policy Science haben gemeinsam, dass sie den möglichen Beitrag,<br />
den die Wissenschaft bei der Politikberatung legitimerweise erbringen kann, über<br />
das neopositivistische Programm hinaus ausdehnen. Die um Gerhard Weisser<br />
gruppierte deutsche Schule, welche sich um die neue Disziplin der „beratenden<br />
Sozialwissenschaft“ bemüht, warnt vor dem „kognitiven Perfektionismus“ der Neopositivisten,<br />
„der die wissenschaftliche Arbeit für die Gesellschaftspolitik steril mache“.<br />
8 Yehezkel Dror definiert ‚Policy Sciences’ wie folgt: „A new supradiscipline,<br />
oriented towards the improvement of policymaking and characterized by a series of<br />
paradigms different in important respects from contemporary ‚normal’ sciences.“ 9<br />
Bemerkenswert ist, dass Dror in seiner Definition Gr<strong>und</strong>konzepte von Thomas S.<br />
Kuhn (The Structure of Scientific Revolutions) 10 übernimmt <strong>und</strong> kein Hehl daraus<br />
macht, dass er den Policy Science-Ansatz im Vergleich zur behavioristischen<br />
„Normal Science“ auch in seinen epistemologischen Voraussetzungen als Umwälzung<br />
betrachtet. (Vorsichtigerweise sollte man die Berufung auf Kuhn allerdings auf<br />
dem Hintergr<strong>und</strong> sehen, dass es im Einflussbereich der US-Politologie offenbar<br />
üblich ist, alle paar Jahre eine „wissenschaftliche Revolution“ zu proklamieren. 11 )<br />
5 G. Myrdal, An American Dilemma. The Negro Problem and Modern Democracy, London 1944, S. 1044,<br />
zitiert bei: Lompe, op. cit., S. 87.<br />
6 Daniel Frei hat diese Beratungstechniken kurz resumiert in: „Politikberatung <strong>und</strong> Entscheidung“, Annuaire<br />
suisse de science politique 1972, S. 60 f.<br />
7 Der englische Ausdruck „Pol icy Sciences“ wurde erstmals von Harold D. Lasswell 1951 vorgeschlagen:<br />
Daniel Lerner/Harold D. Lasswell (eds.), The Policy Sciences – Recent Development in Scope<br />
and Methods, Standford University Press, Standford 1951. Die deutschen Termini stammen von der<br />
Weisser-Schule, siehe Lompe, op. cit.<br />
8 Lompe, op. cit., S. 85.<br />
9 Dror, op. cit., S. 3, 9 ff.<br />
10 Thomas S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, University of Chicago Press, Chicago 1962.<br />
11 1961 setzte Robert Dahl dem Sieg des Behaviorismus Denkmal <strong>und</strong> Epitaph („The Behavioral Approach<br />
in Political Science: Epitaph for a Monument to a Successful Protest“, APSR, Vol. 55, Dezember<br />
1961, S. 767). Und schon 1969 verkündete David Easton (New Revolution, op. cit.) die postbehavioristische<br />
Revolution.