Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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neigungen in den Kantonseingaben zu erklären vermag, nämlich die personelle<br />
Zusammensetzung der kantonalen Arbeitsgruppen <strong>und</strong> deren unterschiedliche<br />
Repräsentativität. Die Zürcher Regierung setzte überhaupt keine Arbeitsgruppe ein,<br />
in der verschiedene Strömungen sich hätten Gehör verschaffen können, sondern<br />
liess offenbar verwaltungsintern nach Massgabe ihrer Weisungen eine Antwort zum<br />
Fragenkatalog erstellen. Zweifel an der Repräsentativität der Zürcher Kantonsvernehmlassung<br />
ergeben sich aus der Tatsache, dass die beiden Hochschulen auf<br />
dem Platze Zürich sehr innovative Eingaben einreichten (Eidg. Technische Hochschule:<br />
3 rV, Universität Zürich: 5 rV). In Zürich entstand zudem eine „Arbeitsgruppe<br />
‘Totalrevision statt Totalretuschierung’“, die sich aus vier Juristen, einem Naturwissenschaftler,<br />
einem Psychologen <strong>und</strong> Mediziner, zwei Architekten, einem Ingenieur<br />
<strong>und</strong> zwei Journalisten zusammensetzte. Die Gruppe gab eine Kampfschrift<br />
heraus unter dem Titel: „Helvetische Alternativen. Eine Kritik am Unternehmen der<br />
Totalretuschierung unserer Verfassung, nebst einem neuen Fragebogen“. Die Broschüre<br />
figurierte während Wochen an erster Stelle auf der Bestseller-Liste einer<br />
Wochenzeitung. 19<br />
e) <strong>Innovation</strong>sneigungen <strong>und</strong> <strong>Innovation</strong>schancen<br />
Zwei grosse Regierungsparteien, mehr als die Hälfte der Kantone sowie drei Viertel<br />
der Universitäten reichten Vernehmlassungen ein, die eine erhebliche Veränderung<br />
des institutionellen Status quo im wichtigen Bereich des „Regierungssystems“ befürworten.<br />
(Bedeutet dies, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit signifikante<br />
Veränderungen in diesem Bereich tatsächlich auch eintreten werden<br />
Um diese Frage beantworten zu können, reicht es nicht aus, bloss <strong>Innovation</strong>sneigungen<br />
ungeachtet ihrer Richtung zu studieren. Vielmehr muss untersucht werden,<br />
ob sich im Hinblick auf einzelne „radikale“ Vorschläge Koalitionen abzeichnen,<br />
die tragfähig genug sind, um das betreffende Postulat durchzusetzen. Tabelle 8<br />
zeigt nun, dass die „radikalen“ Vorschläge eine weite Streuung üöer die acht Kategorien<br />
aufweisen. Eine gewisse Konzentration von Vorschlägen lässt sich lediglich<br />
in der Kategorie „Regel BV 3“ mit 14 Optionen feststellen. Doch sogleich sei angemerkt,<br />
dass „Regel BV 3“ nicht völlig homogene Vorschläge in sich vereinigt. Zwischen<br />
der Ausscheidung eines Bereichs „konkurrierender Gesetzgebung“ beispielsweise<br />
<strong>und</strong> einer gänzlichen Umkehrung der Kompetenzvermutung kann unter<br />
Umständen je nach konkreter Ausgestaltung ein erheblicher Unterschied hinsichtlich<br />
der politischen Folgen liegen. Zu berücksichtigen ist auch, mit welchen andern<br />
Postulaten eine Option für „Regel BV 3“ kombiniert ist. Der sozialdemokratische<br />
Vorschlag einer Umkehrung der Kompetenzvermutung würde zu gänzlich anderen<br />
Ergebnissen führen als das Darbellay-Modell des Kantons Wallis, welches den<br />
Bereich konkurrierender Gesetzgebung via Ein-Kanton-Referendum mit einer Verlagerung<br />
der eidgenössischen Politik auf die Kantonsparlamente koppelt.<br />
19 Die Zürcher Wochenzeitung „Sonntags-Journal“ brachte die „Alternativen“ in den Monaten März bis Mai<br />
1971 mindestens neunmal an der ersten Stelle ihrer Bestseller-Liste. Die Zuverlässigkeit dieser Bestseller-Liste<br />
wurde allerdings in einer Sendung des Schweizer Fernsehens kritisiert. – Nach Angaben<br />
eines der Autoren wurden bis März 1972 r<strong>und</strong> 4 000 Exemplare der Broschüre verkauft. – Von Februar<br />
bis Juli 1971 figurierten die „Alternativen“ auch auf der Bestseller-Liste des Stadtzürcher Gratisanzeigers<br />
„Züri-Leu“: mindestens neunmal im ersten Rang <strong>und</strong> mindestens fünfmal in nachgeordneten Rängen.