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Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac

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(3) Denkbar ist ein Szenarium, nach welchem sich die Bipolarität nicht um eine<br />

sozio-ökonomische Konfliktsachse, sondern um eine konfessionelle herausbildet.<br />

Nicht die Sozialdemokraten stünden den Bürgerlichen gegenüber, sondern die<br />

Katholiken den Nichtkatholiken. 25 Die CVP würde zum Kristallisationspunkt des<br />

einen Pols <strong>und</strong> die Freisinnigen zu jenem des andern. Wir halten eine solche Eventualität<br />

für unwahrscheinlich. Zwar konnten aus dem letzten Jahrh<strong>und</strong>ert stammende<br />

konfessionelle Konflikte dank des geltenden Wahlrechts lange Zeit konserviert<br />

werden. Doch heute lassen sich keine konfessionellen Streitpunkte mehr nachweisen,<br />

die sich zur Gr<strong>und</strong>lage eines Parteiensystems machen liessen. Mit der Beseitigung<br />

der konfessionellen Ausnahmeartikel aus der B<strong>und</strong>esverfassung im Mai<br />

1973 hat die Schweiz auf B<strong>und</strong>esebene wohl den letzten konfessionspolitischen<br />

Konfliktstoff verloren. – Nach ihrem neuesten Programm von 1971 zu schliessen,<br />

erhebt die CVP keine spezifisch konfessionspolitischen Postulate mehr, sondern<br />

versucht, über ihre katholische Stammwählerschaft hinaus neue Wählerkreise anzusprechen.<br />

Je die Konfessionsgrenze signifikant zu überschreiten, dürfte jedoch<br />

für diese Partei sehr schwierig oder gar unmöglich sein.<br />

(4) Realistischer als das Szenarium von der konfessionalisierten Bipolarität ist jenes,<br />

das für eine längere Zeitspanne ein Dreiparteiensystem vorhersagt. Dieses<br />

Szenarium geht von der Annahme aus, dass es der CVP weiterhin gelingt, das<br />

Gros der praktizierenden Katholiken an sich zu binden. Diese Partei würde damit<br />

verhindern, dass der SP, obwohl in der Opposition, wesentliche „Einbrüche“ in die<br />

katholische Wählerschaft gelänge. Die SP ist jedoch, um die kritische Schwelle von<br />

40 Prozent Wählerstimmen erreichen zu können, in erheblichem Umfang auf katholische<br />

Stimmen angewiesen. – Wir halten dieses Dreiparteien-Szenarium für weniger<br />

wahrscheinlich als Szenarium (2). Mit dem Wegfall ernsthafter konfessionspolitischer<br />

Konfliktstoffe dürfte der Appel der CVP an die „Katholizität“ ihrer Wähler an<br />

Wirkung verlieren. In Belgien, den Niederlanden <strong>und</strong> Westdeutschland haben in<br />

jüngster Zeit katholische Wähler in einem durchaus ins Gewicht fallenden Ausmass<br />

begonnen, sozialdemokratische Parteien zu wählen. Henry H. Kerr sieht auch für<br />

die Schweiz einen solchen Einstellungswandel bei katholischen Wählern voraus:<br />

„As elsewhere, the Catholic Church is rapidly losing its hold over the partisan attitudes<br />

of its believers in Switzerland.“ 26 Dieser Autor basiert seine Prognose auf eine<br />

repräsentative Meinungsumfrage, welche das Departement de Science politique<br />

der Universität Genf in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Sozialpsychologie<br />

der Universität Zürich 1972 durchführte. Eine Altersgruppenanalyse<br />

ergab, dass mit abnehmendem Alter katholische Wähler weniger häufig die katholische<br />

Partei bevorzugen. Die Präferenz für Linksparteien (Sozialdemokraten, Kommunisten)<br />

ist bei jüngeren praktizierenden Katholiken erheblich grösser als bei<br />

älteren. Nach Kerr handelt es sich nicht um eine bloss biolo-<br />

25 Bei der schweizerischen Wohnbevölkerung ist der Anteil der Protestanten 1950 bis 1970 von 58,5 auf<br />

55 Prozent gefallen, derjenige der Katholiken von 41,3 auf 43 Prozent gestiegen. Bezüglich der Gesamtbevölkerung<br />

wurden 1970 erstmals mehr Katholiken als Protestanten gezählt (NZZ, Nr. 464,<br />

7.10.73, S. 35).<br />

26 Henry H. Kerr, Jr., Switzerland: Social Cleavages and Partisan Conflict, Sage Professional Papers in<br />

Contemporary Political Sociology, London 1974, S. 19.

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