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Pocken118

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versteckte eigentlich jeder vor der offiziellen Viehzählung einen Teil seiner Tiere.<br />

Die Hühner kamen in einen Sack und verschwanden in einer dunklen Ecke. Die<br />

dann beschlagnahmten Hühner und Hasen mussten geschlachtet und<br />

ausgenommen abgeliefert werden. Anders war es bei den Schweinen. Nach der<br />

Schlachterlaubnis ließ die Familie das Schwein auf der Gemeindewaage offiziell<br />

wiegen. Auch jetzt war die Besatzungsmacht am Schlachtgewicht beteiligt. Um<br />

den abzugebenden Anteil zu reduzieren, dachten sich die Erlenbacher so manchen<br />

Trick aus, um das Schlachtgewicht nach unten zu manipulieren. Dies alles<br />

geschah unter den gestrengen Augen des Polizeidieners Emil Kühner, der<br />

regelmäßig mit der Dorfschelle durch Erlenbach lief, um die Bekanntmachungen<br />

lautstark zu verkünden.<br />

Zwei meiner Tanten, Emma und Mathilde Heinrich hatten noch vor dem Krieg<br />

nach Wiesloch in größere Bauernhöfe hineingeheiratet. Bereits im Krieg hatte ich<br />

dort meine Sommer- und Herbstferien verbracht. Auch nach dem Krieg ließen die<br />

beiden Tanten ihre Sippschaft Heinrich & Becker nicht hängen. Dies war ein<br />

großes Glück für uns alle. Denn besonders 1946 und 1947 hatten wir eine extrem<br />

niedere Kartoffelernte, während in Nordbaden die Kartoffelernte fast normale<br />

Ernteergebnisse brachte. Kurz nach der Kartoffelernte erhielten wir aus Wiesloch<br />

eine verklausulierte Nachricht. Sonntags fuhren wir mit dem Personenzug nach<br />

Ludwigshafen. Natürlich auf Holzbänken in der 4. Klasse. Die Erwachsenen<br />

zogen den Leiterwagen. An der provisorischen Rheinbrücke angekommen, ging<br />

ich allein in Richtung Mannheim. Denn Kinder brauchten auf ihrem Weg zurück<br />

in die französische Besatzungszone keine Papiere zu zeigen und unterlagen keiner<br />

Kontrolle. In Mannheim wartete bereits Onkel und Tante, die mit ihrem<br />

Pferdewagen und einem Doppelzentner Kartoffeln zur Brücke gefahren waren.<br />

Meine Freude war groß und die Herzlichkeit meiner Tante war grenzenlos. Nach<br />

herzlichen Umarmungen stärkten sie mich mit üppig belegten Wurstbroten Ich<br />

musste mich viermal schwer beladen auf den langen Weg machen, bis ich die 100<br />

kg in jeweils zwei Taschen über den Rhein geschleppt hatte. Jedes Mal hatten sie<br />

mir für die Verwandtschaft außerdem links und rechts eine Wurstdose in meine<br />

Jackentasche gesteckt. Die Aktionen hatten über 3 Stunden gedauert und ich<br />

verabschiedete mich mit dem Versprechen, in den Weihnachtsferien wieder nach<br />

Wiesloch zu kommen.<br />

Auf dem Weg zum Bahnhof passierte etwas Kurioses. Ein US LKW fuhr etwas zu<br />

schnell um die Kurve und von der Ladepritsche fielen etliche Kasten mit Orangen<br />

auf die Straße herunter. Hunderte Früchte kullerten da herum. Jeder steckte ein,<br />

was er kriegen konnte. Im Bahnhof angekommen, protestierten etliche Reisende,<br />

dass wir unseren Bollerwagen mit in den Wagon nehmen wollten. Meinem Vater<br />

blieb nichts anderes übrig, als ihn auf dem Wagendach zu befestigen. Wir waren<br />

alle skeptisch, ob dies bei den niedrigen Tunnelhöhen gut ginge. Auf dem Weg<br />

nach KL wurde der Zug derart voll, dass wir kaum noch Luft bekamen.<br />

Volkswirtschaftlich<br />

Nüchtern betrachtet waren die Jahre 1945 – 1948 eine Versorgungskrise, die<br />

sich allerdings nicht auf die deutschen Besatzungszonen beschränkte. Aus der<br />

Sicht der hungernden Menschen war dies eine elendige Notzeit. Die Körper<br />

stellten sich gezwungener weise auf die wenigen Kalorien ein, die irgendwie<br />

zusammen gehamstert und gefuggert wurden. Die Versorgungslage unserer<br />

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