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Übersicht Wirkungen von <strong>Gewalt</strong> in Film <strong>und</strong> Fernsehen<br />
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Dabei konstatierte Grimm, dass die Rezipienten in erster Linie den Standpunkt des<br />
<strong>Gewalt</strong>opfers einnehmen, so dass die Opferperspektive den Ausgangspunkt für alle<br />
Wirkungsprozesse bilde (vgl. dazu auch Kapitel 3.4.2.4). Auf Basis seiner experimentel<br />
len Bef<strong>und</strong>e entwickelte Grimm (1999, S. 626) ein Modell der Opferrezeption, das er<br />
später (Grimm 2002, S. 173) zu einem „dreigliedrigen Modell der Opferrezeption“ erwei<br />
terte. Die erste Variante (bzw. der erste „Pfad“) der Opferrezeption ist die Erzeugung von<br />
Angst, die mit einer Aggressionsminderung bzw. -hemmung einhergeht. Die angstbe<br />
wirkten antiviolenten Impulse neutralisierten violenzfördernde Wirkungen von<br />
<strong>Gewalt</strong>darstellungen oder erwiesen sich sogar als stärker (vgl. Grimm 1999, S. 717; vgl.<br />
dazu auch Kapitel 3.3.9, 3.4.2.4).<br />
Es gibt jedoch auch einen zweiten „Pfad“, der zu einer Aggressionssteigerung führt.<br />
Dieser beruht auf dem Wirkungsmechanismus des sog. „Robespierre-Affekts“ (vgl. auch<br />
Grimm 1998), bei dem sich ein zunächst gewaltkritischer Impuls bzw. Mitleid mit dem<br />
Opfer in Aggression gegen den Täter wandelt. Den Gr<strong>und</strong> sieht Grimm (1999, S. 706)<br />
darin, dass sich aus der Identifikation mit den Schwachen <strong>und</strong> Drangsalierten die<br />
Legitimation ableiten lässt, gegen „mächtige Schurken“ jedes Mittel einzusetzen. Diese<br />
Form der Violenz ist nicht imitativ, sondern opferzentriert <strong>und</strong> täterkritisch ausgerich<br />
tet (vgl. dazu auch Kapitel 3.4.2.4).<br />
Als dritten Pfad der Opferrezeption hat Grimm (2002) so genannte „Tragikeffekte“ er<br />
gänzt. Hierbei kommt es (unter der Bedingung einer intensiven Einfühlung des Rezi<br />
pienten in das Opfer) zu einer „tragische[n] Erschütterung [...], die den Rezipienten für<br />
weltüberlegene Gelassenheit öffnet <strong>und</strong> mit einer Aggressionsstabilität bzw. auch<br />
-minderung einhergeht. Das Miterleben eines tragischen Endes könne für den Rezi<br />
pienten insofern eine Erleichterung bedeuten, als es „das Abfinden mit unabänderli<br />
chen Welttatbeständen fördert <strong>und</strong> das Individuum auf Loslassenkönnen statt auf<br />
blinde Aggression oder Angst orientiert.“ (Grimm 2002, S. 172). Die Folgen seien auch<br />
eine Zunahme von Toleranz, Mitleid <strong>und</strong> Weltbildoptimismus (vgl. dazu auch Kapitel<br />
3.3.1).<br />
Grimm belegt in seinen Experimenten, dass die verschiedenen Wirkungsvarianten<br />
sowohl von dramaturgischen Elementen der <strong>Medien</strong>inhalte abhängen als auch von<br />
Rezipienteneigenschaften (vgl. Grimm 2002, S. 173f.). So spielt es in Bezug auf die<br />
Angstauslösung eine Rolle, ob <strong>Gewalt</strong> als „saubere“ oder „schmutzige“ <strong>Gewalt</strong> präsen<br />
tiert wird bzw. in welcher Reihenfolge beide <strong>Gewalt</strong>formen gezeigt werden (vgl.<br />
genauer Kapitel 3.4.2.4). Der Robespierre-Affekt tritt bei einem unbefriedigenden<br />
Ende der Handlung auf <strong>und</strong> ist als „Protest gegen eine Opferrolle zu verstehen, die im<br />
Film keine befriedigende Auflösung erfährt.“ (Grimm 1999, S. 708). Er kommt v. a. bei<br />
einem sympathischen Opfer vor bzw. bei wahrgenommener Nähe des Rezipienten<br />
zum Opfer, wobei hier v. a. das gleiche Geschlecht von Rezipient <strong>und</strong> Opfer entschei<br />
dend ist. Der Tragikeffekt schließlich hängt ebenfalls mit dem Ausgang einer Geschich<br />
te zusammen („Bad End“ statt „Happy End“) <strong>und</strong> fällt größer aus, wenn zwischen Rezi<br />
pient <strong>und</strong> Opfer Ähnlichkeit (in Grimms Studie v. a. im Hinblick auf das Alter) besteht.<br />
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