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Übersicht Wirkungen von <strong>Gewalt</strong> in Film <strong>und</strong> Fernsehen<br />
➔<br />
einfachen Übertragung der Fernsehrealität auf die Wirklichkeit nicht ausgegangen<br />
werden kann <strong>und</strong> die den Kultivierungseffekten zugr<strong>und</strong>e liegenden Prozesse weiterer<br />
Untersuchungen bedürfen.<br />
In diesem Zusammenhang ist – wie Bilandzic (2002, S. 66f.) selbst ausführt – auch nach<br />
wie vor nicht auszuschließen, dass eine umgekehrte Kausalität vorliegt: Ängstliche<br />
Personen bleiben eher zu Hause <strong>und</strong> sehen dort fern, vermeiden jedoch auch verbre<br />
chensbezogene Sendungen. 104 Auch in diesem Fall wäre ein stärkerer Kultivierungsef<br />
fekt der Gesamtfernsehnutzung als der Kriminutzung zu erwarten. Ebenfalls möglich<br />
ist, dass Krimi-Vielseher aus dem Genre die Erkenntnis ableiten, dass Verbrechen be<br />
straft werden, die Welt somit sicherer wird <strong>und</strong> daher geringere Kultivierungseffekte<br />
(Viktimisierungsangst) zeigen. 105<br />
Abschließend sei noch auf eine weitere neuere Entwicklung in der Kultivierungsfor<br />
schung verwiesen. Dabei handelt es sich um eine Übertragung der Kultivierungsan<br />
nahmen vom bislang fast ausschließlich untersuchten Bereich der Kognitionen (sowie<br />
des Verhaltens) auf den affektiven Bereich. Mit diesem Aspekt befassen sich derzeit<br />
Peter Winterhoff-Spurk, Dagmar Unz <strong>und</strong> Frank Schwab von der Universität des Saar<br />
landes im Rahmen des DFG-Projekts „<strong>Gewalt</strong> in Fernsehnachrichten: Zur Kultivierung<br />
von Emotionen“ (vgl. Unz/Schwab/Winterhoff-Spurk 2002; Winterhoff-Spurk 1998;<br />
1999; Winterhoff-Spurk o.J.; Winterhoff-Spurk/Unz/Schwab 2001). Die Annahme der<br />
Forscher lautet (Unz/Schwab/Winterhoff-Spurk 2002, S. 112): „Das häufige Erleben<br />
spezifischer fernsehinduzierter Gefühle verändert möglicherweise auch das emotiona<br />
le Erleben im wirklichen Leben.“ Sie halten es für möglich, dass die Zuschauer „die im<br />
häufigen Umgang mit dem TV erworbenen Mechanismen des emotionalen Erlebens<br />
auch auf die eigene Lebenswirklichkeit übertragen [...].“ Diese werde dann ebenfalls<br />
„nach den Gesetzmäßigkeiten des Fernsehens erlebt, interpretiert <strong>und</strong> schließlich ge<br />
staltet.“ Das Interesse der Forscher gilt dabei v. a. der „Ausbildung emotionaler Ge<br />
wohnheiten“, wobei v. a. die Effekte wiederholter <strong>Gewalt</strong>darstellungen im Mittelpunkt<br />
stehen. Konkret nehmen Winterhoff-Spurk u. a. (Winterhoff-Spurk o.J.) an, dass Rezi<br />
pienten „das Fernsehen mit seinen vielen, schnell dargebotenen <strong>und</strong> emotional höchst<br />
unterschiedlichen Inhalten [...] emotional auch nur noch sehr oberflächlich verarbei<br />
ten“ könnten. Dies könne dazu führen, dass sie keine „tiefen“, sondern nur noch „fla<br />
che Gefühle“ (Winterhoff-Spurk o.J.; Winterhoff-Spurk/Unz/Schwab 2001, S. 22–25)<br />
104 Als Bestätigung für die Annahme einer Vermeidung angstauslösender Inhalte kann die Studie von Jürgen<br />
Grimm gelten, der (1999, S. 341) konstatierte: „Verbrechensfurcht <strong>und</strong> andere Scary World- Ansichten<br />
koinzidieren unabhängig von Geschlecht <strong>und</strong> Alter mit der Nutzungshäufigkeit von Romantikfilmen <strong>und</strong><br />
Reality TV-Shows, die wenig Verbrechen <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong>, aber einen hohen Anteil ,heiler Welt‘ enthalten.“<br />
105 Vgl. zu dieser Annahme Zillmann 1980; 1982. Auch Grimm (1999) stellte in seinen Experimenten fest, dass<br />
das Ansehen verschiedener Filmbeispiele mit fiktionaler <strong>Gewalt</strong> bei den Probanden nicht zu Bedrohtheitsvorstellungen<br />
<strong>und</strong> Verbrechensfurcht führten, sondern vielmehr die Überzeugung festigten, in einer<br />
relativ sicheren Realität zu leben. Wie Grimm (1999, S. 719) schreibt, fungierten die <strong>Gewalt</strong>darstellungen<br />
„hierbei als eine Negativfolie, vor deren Hintergr<strong>und</strong> sich die Wirklichkeit positiv abhebt. Der fiktionale<br />
,Negativismus‘ stärkt den lebensweltlichen ,Positivismus‘ auch deshalb, weil die Rezipienten den Sicherheitsaspekten<br />
innerhalb der <strong>Gewalt</strong>fiktionen besondere Aufmerksamkeit widmen.“ „Saubere“ <strong>Gewalt</strong><br />
<strong>und</strong> ein Happy End führten zu einem besonders geringen Ausmaß negativer Realitätsvorstellungen. ➔<br />
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