Sanktionsordnung der SIX und Schiedsgericht DISSERTATION der ...

Kapitel II: Verfahrensrechtliche Aspekte
verstossen gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK, weswegen Presseveröffentlichungen,
die auf der unbestätigten Meinung der Schuld eines einstweilen bloss Verdächtigten
beruhen, vor der Verurteilung im Zusammenhang mit der Einleitung eines Verfahrens
verboten sein sollten. 517 Darüber hinaus kann, wie auch bereits WASER in ihrer Dissertation
festhielt, durch die Meldung einer Untersuchungseinleitung eine falsche Erwartungshaltung in
der Öffentlichkeit entstehen, „die einen nachträglichen Freispruch durch die Justiz illusorisch
zu machen droht.“ 518 Mit anderen Worten: Wenn eine Untersuchung öffentlich bekannt gegeben
wurde, ist zu befürchten, dass die Börse alles versuchen wird, um eine Einstellung des
Verfahrens zu verhindern, da dies grundsätzlich mit einem Gesichtsverlust verbunden wäre.
Überdies ist eine extensive Publikationspraxis auch eher schädlich als hilfreich: Bei einer Flut
von Meldungen besteht nämlich immer die Gefahr eines gewissen Abnutzungseffektes, der
dazu führt, dass Sanktionen nicht mehr wirklich ernst genommen werden 519 bzw. das (mediale)
Interesse in einer übersättigten und schnelllebigen Medienwelt rasch verebbt. 520 Dieses
Phänomen ist insbesondere bei der Sanktionierung von Verstössen gegen die Rechnungslegungsvorschriften
zu beobachten: Wie eine von MEIXNER im Rahmen seiner Dissertation vorgenommene
differenziertere Analyse der Reaktionen der öffentlichen Medien auf Mitteilungen
von SER zeigt, verhallt das Medieninteresse unabhängig von der Sanktionsart schnell. 521
Dieses mediale Desinteresse wird dabei u.a. auf die Komplexität der Rechnungslegungsnormen
zurückgeführt, die zur Folge hat, dass auch die Wirtschaftspresse bei der Beurteilung der
inhaltlichen Tragweite regelmässig an ihre Grenzen stösst. 522 Da die Bekanntgabe eines Fehlers
in der Rechnungslegung generell erhöhte Unsicherheit für den Investor bedeutet 523 , führt
jedoch auch die kurzfristige negative Publicity durch SER zu signifikanten negativen Kursreaktionen.
524 Als Folge greifen Unternehmen im Bemühen, das verlorene Vertrauen im Kapitalmarkt
schnell wieder herzustellen, zu kurzfristigen Massnahmen mit teilweise unerwünschten
Nebeneffekten (Verschleierungstaktiken, Missachtung der Korrekturvorschriften, etc.). 525
Langfristige Verbesserungsmassnahmen werden jedoch nicht ergriffen. Überdies können die
beschriebenen Reputationsschäden für Emittenten durchaus gravierend sein. Vor diesem Hin-
517 so auch: WASER, S. 163.
518 WASER, S. 163.
519 Es stellt sich eine "Welcome-to-the-club"-Haltung ein.
520 FISSE/BRAITHWAITE, S. 294.
521 MEIXNER, S. 90 ff.
522 In die gleiche Richtung äusserten sich auch die Wirtschaftsprüfer, die feststellen, dass es bei den Sanktionen
im Bereich Rechnungslegung häufig um „Technikalitäten“ geht, die für die Medienleute keine Rolle spielen
bzw. zu wenig interessant sind.
523 ACA-HSG, S. 5.
524 Der name and shame-Effekt wirkt; vgl. auch: MEIXNER, S. 78 f.
525 ACA-HSG, S. 14.
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