Sanktionsordnung der SIX und Schiedsgericht DISSERTATION der ...

Kapitel III: Beurteilung der Sanktionspraxis
muss nicht vom Emittenten gewollt sein. 1241 Mit dieser Auslegung knüpft die Börse an die in
Lehre und Rechtsprechung entwickelte Definition von Fahrlässigkeit an: Voraussetzung für
die Begehung eines Fahrlässigkeitsdelikts ist demzufolge die Verletzung einer Sorgfaltspflicht
durch den Täter. 1242 Das Bundesgericht betrachtet eine sorgfaltswidrige Handlung für gegeben,
wenn der Täter "zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse
und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen
können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritt. Wo
besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der dabei zu
beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften" 1243 . Daraus ergibt sich, dass
bei Tätigkeiten, die mit einem gewissen Risiko für fremde Rechtsgüter verbunden sind, jede
unnötige Erhöhung der Gefahr zu vermeiden ist. 1244 Aufgrund der dem Kapitalmarkt inhärenten
Informationsasymmetrie besteht ein signifikantes Risiko, dass durch unterbliebene oder
verspätete Informationen die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes und der korrekten Preisbildung
erheblich beeinträchtigt wird. Da so das Polizeigut Treu und Glauben im Geschäftsverkehr
gefährdet wird, ist der Börse beizupflichten, dass es unerheblich ist, ob der Emittent
bewusst gegen die Regeln verstossen hat oder ob er versehentlich bzw. wegen Unkenntnis der
relevanten Normen bzw. der einschlägigen Praxis eine Pflicht nicht erfüllt hat. Wie die Börse
m.E. zu Recht hervorhebt, weist das Verfahren zwischen Börse und Emittent Züge auf, die
dem Disziplinarverfahren ähnlich sind. 1245 Massnahmen in diesem Bereich sollen regelmässig
bewirken, dass Personen, die unter der "Disziplinargewalt" stehen, ihre Pflichten erfüllen. 1246
Vor diesem Hintergrund ist es meiner Meinung nur richtig, wenn jegliches Fehlverhalten (also
auch fahrlässiges) bestraft wird.
Häufig ist es darüber hinaus schwierig, einem Unternehmen die bewusste Missachtung der
Regularien nachzuweisen. 1247 Eine nachlässigere Aufsicht, die u.a. aufgrund von Beweisschwierigkeiten
weniger Verstösse ahnden würde, hätte aber zur Folge, dass die Emittenten,
die in erster Linie Geld verdienen und daher so wenig Zeit wie möglich für andere Dinge -
wie das Lesen von Regularien - aufwenden wollen 1248 , sich nicht wirklich mit den Regeln
1241 SIX Swiss Exchange AG Sanktionsbescheid vom 1.10.2008 (GBZ/RLE/IV/08), Rz. 22.
1242 REHBERG/DONATSCH, S. 281.
1243 BGE 121 IV 14.
1244 REHBERG/DONATSCH, S. 288.
1245 Entscheid der Disziplinarkommission vom 20.6.2003 (DK/RLE/I/03), E. 12.
1246 zu den disziplinarischen Massnahmen vgl. auch: HÄFELIN/HALLER/MÜLLER, S. 273.
1247 vgl. auch LÜTOLF, S. 365, die zu Recht darauf hinweist, dass die Fahrlässigkeitsdelikte gegenüber den Vorsatzdelikten
einen grossen Vorteil bezüglich der Anforderungen der Nachweisbarkeit bieten.
1248 Diese Aussage hat sich in den Interviews v.a. in Bezug auf KMUs herauskristallisiert. Die Verantwortlichen
beklagten auch, dass es so zeitaufwendig sei, die Praxis der SIX nachzuvollziehen und dass diese Zeit zulasten
der profitablen Geschäftstätigkeit gehe.
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