Sanktionsordnung der SIX und Schiedsgericht DISSERTATION der ...

Kapitel II: Verfahrensrechtliche Aspekte
b) Erstes Engel-Kriterium
Das Schweizer Strafrecht umfasst neben dem StGB auch das Nebenstrafrecht, gewisse Teile
des kantonalen und kommunalen Übertretungsstrafrechts sowie das militärische Strafverfahren.
185 Die Börsenregularien gehören eindeutig nicht dazu. Deswegen sind die Tatbestände,
welche typischerweise zu einer Sanktionierung durch die SIX führen, nicht dem Strafrecht
zuzuordnen und das erste "Engel"-Kriterium ist somit nicht gegeben.
c) Zweites Engel-Kriterium
Als Disziplinarmassnahmen sind die SIX-Sanktionen administrative Sanktionen, die ihre
Wirkung nur gegenüber einem beschränkten Adressatenkreis 186 entfalten. 187 Gemäss Bundesgerichtsrechtsprechung
sind Verhaltensnormen, die nur für einen bestimmten Personenkreis
mit einem besonderen Statuts gelten, keine Strafen im Rechtssinn. 188 Das StGB kennt jedoch
auch echte Sonderdelikte, die nur von einer bestimmten Personengruppe begangen werden
können (z.B. Art. 312 StGB: Amtsmissbrauch); deswegen schliesst der beschränkte Adressatenkreis
m.E. nicht zwingend aus, dass es sich um eine Bestimmung strafrechtlicher Natur
handelt. 189 Vielmehr lässt sich am Beispiel der Pflicht zur Ad hoc-Publizität nachweisen, dass
die Börsennormen durchaus einen präventiven und repressiven Zweck verfolgen und demnach
in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK fallen: Denn bei Art. 53 KR handelt es
sich um eine Schutznorm, mit der die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und die Gleichbehandlung
der Anleger gewährleistet werden sollen. 190 Es besteht daher ein enger Zusammenhang
zwischen Art. 53 KR und dem Insider-Artikel 161 StGB, der ebenfalls den Schutz
der Chancengleichheit der Anleger sowie der Lauterkeit des Börsenmarktes im Allgemeinen
bezweckt. 191 Letzterer verfolgt als strafrechtliche Norm definitiv einen präventiven und repressiven
Zweck und aufgrund der gerade etablierten Verwandtschaft lässt sich m.E. auch ein
präventiver und repressiver Charakter von Art. 53 KR ableiten. 192 Somit kann das zweite Engel-Kriterium
m.E. als gegeben betrachtet werden.
185 zur Definition des innerstaatlichen Strafrechts vgl. auch: HAEFLIGER/SCHÜRMANN, S. 150 f.
186 Erfasst werden nur die kotierten Emittenten sowie die Teilnehmer/Händler; eine Bestrafung von Anlegern/Kunden
ist ausgeschlossen (vgl. auch die Ausführungen in Kapitel III Abschnitt H. 3d).
187 HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, S. 273.
188 BGE 121 I 379; dies ist auch konform mit der Rechtsprechung des EGMR in Engel vs. Niederlande.
189 a.M. KLEY-STRULLER, S. 26, der das Kriterium des allgemeinen Adressatenkreises als entscheidend erachtet.
190 VON FISCHER, S. 45.
191 BÖCKLI, Ad hoc Publizität, S. 110.
192 gl. M. JUCHLI/PAGNONCINI, S. 192 f.
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