Sanktionsordnung der SIX und Schiedsgericht DISSERTATION der ...

Kapitel II: Verfahrensrechtliche Aspekte
a) Möglichkeit zur mündlichen Äusserung?
Die Entscheidungen werden von der Sanktionskommission gemäss Art. 4.3 Abs. 4 VO grundsätzlich
aufgrund der Akten getroffen. Davon wich sie auch Ende 2009 im Fall einer Gesellschaft,
die eine mündliche Verhandlung wünschte, um die für die Zukunft geplanten Schritte
aufzuzeigen, und ebenfalls 2010 beim Antrag eines Teilnehmers auf eine Anhörung nicht ab.
Das rechtliche Gehör beinhaltet das Recht des Beschuldigten, im Verfahren alles vorzubringen,
was ihm erheblich erscheint, und zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. 450 Es stellt sich
jedoch die Frage, ob Regulierte daraus den Anspruch auf eine mündliche Verhandlung ableiten
können, wie dies zum Beispiel im europäischen Wettbewerbsrecht der Fall ist. 451 Der Vorteil
der Mündlichkeit liegt in der Ermöglichung der optimalen Ausübung der gerichtlichen
Aufklärungs- und Fragepflicht durch direkten Kontakt zwischen Parteien und Gericht; ausserdem
kann sich das Gericht einen persönlichen Eindruck von den Parteien machen, welcher
einen entscheidenden Einfluss bei der Urteilsfindung haben kann. 452 Schriftlichkeit auf der
anderen Seite bewirkt die präzise und wohlüberlegte Feststellung des Sachverhaltes und kann
zu einer Verfahrensbeschleunigung und Entlastung des Gerichts führen. 453 Vor diesem Hintergrund
wird dem Mündlichkeitsprinzip in der Lehre auch nur eine beschränkte Bedeutung
zugemessen: Wenn sich die Beteiligten in hinreichender Form schriftlich äussern können und
das Gericht solche schriftlichen Stellungnahmen in gebührender Weise berücksichtigt, wurde
dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs Genüge getan. 454 Insbesondere in Rechtsmittelverhandlungen
hat der Angeklagte keinen unbedingten Anspruch auf persönliches Erscheinen zur
Rechtsmittelverhandlung; diese kann auch aufgrund schriftlicher Vorträge vonstatten gehen.
455 Somit ist die Sanktionskommission berechtigt, nur in begründeten Ausnahmefällen
mündliche Verhandlungen vorzusehen und im Normalfall aufgrund der Akten zu entscheiden.
Denn ihre Aufgabe besteht vornehmlich darin, die Entscheidungen der Untersuchungsorgane
auf ihre Richtigkeit und Angemessenheit zu überprüfen. 456 Persönliche Eindrücke sind dafür
unnötig und angesichts der bestehenden Problematik der Verfahrenslänge 457 wohl auch zu
zeitaufwendig. Wenn – wie im Fall des Teilnehmers - die Tatsachen, auf denen der Sankti-
450 BODMER, S. 131.
451 vgl. dazu auch: WASER, S. 266, mit Hinweis auf die Verordnung der Kommission über die Anhörung in bestimmten
Verfahren.
452 HABSCHEID, Zivilprozess, S. 322.
453 SUTTER-SOMM, S. 102.
454 ROTH, WOLFGANG, S. 496.
455 BISCHOFBERGER, S. 94.
456 In diesem Sinne gehen auch WALDER und GROB-ANDERMACHER davon aus, dass die Anhörungspflicht der
Parteien im Rechtmittelverfahren weniger weit geht (vgl. WALDER /GROB-ANDERMACHER, S. 241 f.).
457 vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt J.
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