Ein Jahr in Waffen - Karlheinz-everts.de
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Das war e<strong>in</strong>e schwierige Frage und <strong>de</strong>r Putzer mußte sich die<br />
Antwort erst lange überlegen, dann aber me<strong>in</strong>te er: „Mit <strong>de</strong>n<br />
F<strong>in</strong>gern und mit <strong>de</strong>m Taschenmesser geht es schließlich auch.”<br />
Der Dicke sah e<strong>in</strong>, es blieb ihm nichts an<strong>de</strong>res übrig. So<br />
hielt er <strong>de</strong>nn mit <strong>de</strong>n F<strong>in</strong>gern <strong>de</strong>r l<strong>in</strong>ken Hand das Fleisch fest,<br />
während er mit se<strong>in</strong>em stumpfen Taschenmesser kle<strong>in</strong>e Stücke abschnitt,<br />
und diese führte er dann mit <strong>de</strong>m Zahnstocher, <strong>de</strong>n er als<br />
Gabel benutzte, zum Mund.<br />
„Ich komme mir vor wie e<strong>in</strong> Sioux<strong>in</strong>dianer, <strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong><strong>in</strong><br />
Wild erlegt hat und es nun mit Haut und Haar verschl<strong>in</strong>gt,”<br />
schalt er. „Bis ich auf diese Art und Weise das Essen verzehrt<br />
habe, ist alles eiskalt, und womöglich ver<strong>de</strong>rbe ich mir dann noch<br />
<strong>de</strong>n Magen. Nur e<strong>in</strong> wahres Glück, daß ich h<strong>in</strong>terher wenigstens<br />
e<strong>in</strong> anständiges Glas Rotwe<strong>in</strong> zu tr<strong>in</strong>ken habe.”<br />
Aber als er sich das erste Glas vollgeschenkt und es auf e<strong>in</strong>en<br />
Zug geleert hatte, schnitt er gleich darauf e<strong>in</strong> so entsetztes Gesicht<br />
und führte unwillkürlich e<strong>in</strong>en solchen Tanz auf, daß se<strong>in</strong>e Leute<br />
zum ersten Male seit langer Zeit doch wie<strong>de</strong>r über ihn lachten.<br />
„Zum Donnerwetter,” schalt er se<strong>in</strong>en Putzer, „was haben<br />
Sie mir <strong>de</strong>nn da anstatt <strong>de</strong>s We<strong>in</strong>s mitgebracht? Das ist wohl<br />
Essig o<strong>de</strong>r sonst irgend e<strong>in</strong> Gift? Das kann ja ke<strong>in</strong> Mensch<br />
tr<strong>in</strong>ken.”<br />
„Ich tr<strong>in</strong>ke alles, Herr <strong>E<strong>in</strong></strong>jähriger,” rief e<strong>in</strong> Mann <strong>de</strong>r Wache,<br />
<strong>de</strong>r bei dieser Gelegenheit billig zu e<strong>in</strong>em Glas We<strong>in</strong> zu kommen<br />
hoffte. Aber als er dann wirklich e<strong>in</strong>s bekam und es zur Vorsicht<br />
vorher doch e<strong>in</strong>mal an se<strong>in</strong>e Nase führte, da setzte selbst <strong>de</strong>r das<br />
Glas wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Tisch. „Ne<strong>in</strong>, Herr <strong>E<strong>in</strong></strong>jähriger, das ist mehr<br />
als Gift; das können wir nachher unseren Mitbewohnern vorsetzen,<br />
aber für vernunftbegabte Lebewesen ist es nichts.”<br />
Der We<strong>in</strong> war <strong>de</strong>rartig verdorben und gegoren, daß es ke<strong>in</strong>e<br />
Möglichkeit gab, ihn zu genießen.<br />
„<strong>E<strong>in</strong></strong> ausgezeichnetes Aben<strong>de</strong>ssen,” schalt <strong>de</strong>r Dicke, <strong>de</strong>r sich<br />
wirklich ärgerte. „Nichts zu essen und nichts zu tr<strong>in</strong>ken und dabei<br />
die angenehme Aussicht, vor morgen nachmittag auch nichts halbwegs<br />
Vernünftiges zu bekommen. Tun Sie mir <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>zigen<br />
Gefallen, Michel, packen Sie die traurigen Überreste <strong>de</strong>s Mahles<br />
zusammen und verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie damit so schnell wie möglich.<br />
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