Ein Jahr in Waffen - Karlheinz-everts.de
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„Seien Sie nicht böse, liebe Frau Krause, aber wir müssen<br />
uns noch umziehen. Wir dürfen heute zum ersten Male zur Stadt<br />
gehen; da haben wir uns zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Spaziergang<br />
verabre<strong>de</strong>t und wollen uns h<strong>in</strong>terher <strong>in</strong> <strong>de</strong>m großen Café treffen,<br />
e<strong>in</strong> paar Zeitungen lesen, damit man mal wie<strong>de</strong>r weiß, was <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>r Welt vorgeht; um neun Uhr müssen wir ja schon wie<strong>de</strong>r zu<br />
Hause se<strong>in</strong>. Urlaub gibt es noch nicht.”<br />
„Das ist für junge Leute auch sehr gut,” me<strong>in</strong>te Frau Krause.<br />
„Wenn Sie später am Sonnabend mal e<strong>in</strong> paar Stun<strong>de</strong>n später<br />
schlafen gehen, dann scha<strong>de</strong>t es nichts; dann können Sie am Sonntag<br />
etwas länger im Bett liegen, wenn Sie nicht gera<strong>de</strong> Kirchgang<br />
haben. Aber sonst? Früh re<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Fe<strong>de</strong>rn und früh wie<strong>de</strong>r raus,<br />
das erhält jung. Na, da will ich Sie nur nicht länger stören; aber<br />
<strong>de</strong>n Kuchen will ich lieber wie<strong>de</strong>r mit rausnehmen, wenn Sie ihn<br />
jetzt doch nicht aufessen, <strong>de</strong>nn wenn <strong>de</strong>r hernach Ihren bei<strong>de</strong>n Putzern<br />
<strong>in</strong> die Hän<strong>de</strong> fällt, da bleibt dann auch nicht e<strong>in</strong> Krum übrig.”<br />
Da mochte sie nicht ganz unrecht haben, <strong>de</strong>nn als wenig<br />
später die bei<strong>de</strong>n Putzkamera<strong>de</strong>n erschienen, warf wenigstens<br />
Blasebalg so sehnsüchtige Blicke zu <strong>de</strong>n Kuchenkrümeln herüber, die<br />
auf <strong>de</strong>m Teller lagen, daß er e<strong>in</strong>em ganzen Stück Kuchen gegenüber<br />
sicher <strong>in</strong> Versuchung gekommen wäre, es verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n zu lassen.<br />
Pünktlich auf die verabre<strong>de</strong>te M<strong>in</strong>ute trafen sich alle <strong>E<strong>in</strong></strong>jährigen<br />
vor ihrem Kas<strong>in</strong>o und machten dann ihren Spaziergang<br />
durch die hell erleuchteten Straßen <strong>de</strong>r Stadt. Natürlich g<strong>in</strong>gen<br />
sie <strong>in</strong> ihrer Extrauniform mit <strong>de</strong>r Lackkoppel, <strong>de</strong>m Extraseitengewehr<br />
und schneeweißen Handschuhen.<br />
Es war e<strong>in</strong> ziemlich rauher Herbsttag; trotz<strong>de</strong>m hatte ke<strong>in</strong>er<br />
von ihnen daran gedacht, e<strong>in</strong>en Mantel anzuziehen. Sie waren<br />
stolz, sich endlich <strong>in</strong> ihrer guten Uniform zeigen zu können, und<br />
wollten sich nun recht bewun<strong>de</strong>rn lassen. Auch mußten sie doch<br />
zeigen, daß sie Soldaten waren, die etwas Kälte ertragen können<br />
und nicht gleich wie e<strong>in</strong> Zivilist <strong>de</strong>n Mantel anziehen, sobald es<br />
kühl wird.<br />
Am liebsten hätten sie nach Stu<strong>de</strong>ntenart e<strong>in</strong>en großen geme<strong>in</strong>samen<br />
„Renommierbummel” ausgeführt, aber so viel wußten<br />
sie doch schon, das wäre unmilitärisch gewesen, und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
Seite hätte es zu kommißmäßig ausgesehen, wenn plötzlich auf<br />
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