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Symposium - AIC

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Thomas Alexander Slezák<br />

anamnesis, an das vollendet Schöne (Phdr. 249d4 – 250c6). Sokrates – d.h. Platons Sokrates – war<br />

solch eine Seele. (b) Zeitlich-innerweltlich betrachtet muß es dann aber einen bestimmten Zeitpunkt<br />

gegeben haben, an dem ihm die entscheidende Einsicht über das Wesen des Schönen selbst, dieser<br />

Ausblick auf das Außer- und Überzeitliche plötzlich (exaiphnēs, Symp. 210 c4) aufging. Darüber vor<br />

anderen zu reden, wäre ihm unangemessen erschienen. Lieber versteckte er sich ironisch hinter der<br />

Maske ‚Diotima‘.<br />

Doch Platon der Dialogdichter schuf einen ‚biographischen‘ Kontext, in dem man sich das<br />

Erlangen einer exzeptionellen Einsicht durch den exzeptionellen Mann gut vorstellen kann. Das<br />

waren die Momente, in denen Sokrates unvermittelt stehen blieb, das Gespräch mit anderen beendete<br />

und alleine konzentriert nachdachte. Auf diese Weise den Kontakt zu den Gesprächspartnern zu<br />

suspendieren und ganz allein für sich seinem Denken zu folgen, war eine Gewohnheit (ethos, hōs<br />

eiōthei 175 b1, c5) des Sokrates, den wir Heutige uns nur in Gemeinschaft mit anderen<br />

philosophierend vorzustellen pflegen. So wichtig ist Platon dieser einsam nachdenkende Sokrates, daß<br />

er ihn gleich zweimal inszeniert, vor Beginn des Gastmahls (174 d4 – 175 d2) und gegen Ende der<br />

letzten Rede (220 c3-d5). Das partnerlose Selbstdenken rahmt so in auffälliger Weise die in der<br />

Gemeinschaft (koinōnia) vorgetragenen Porträts des Eros. Deren Höhepunkt aber ist der lange<br />

Monolog des Denkers, der sonst für sein ‚gemeinsames Suchen‘ (koinēi zētein) bekannt ist. Sollen wir<br />

das als reinen Zufall betrachten? Oder will Platon auf unaufdringliche Weise nahelegen, daß<br />

tatsächlich – wie von Agathon vermutet (175 c7-d2) – ein Zusammenhang besteht zwischen<br />

Sokrates‘ Gewohnheit des einsamen Nachsinnens und seinem ‚Finden‘ und ‚Haben‘ von Einsichten,<br />

die die anderen an ihm bewundern?<br />

Wenn aber wirklich das einsame gesprächslose und nicht einmal verbalisierte Denken – von<br />

Verbalisation sagt weder Aristodemos etwas noch Alkibiades – die eigentliche Quelle der Einsichten<br />

des Sokrates ist, müssen wir da nicht die seit der Romantik liebgewonnene Vorstellung aufgeben, der<br />

dialogisch-dialektische Austausch zweier gleichgestellter Partner sei die Seele des sokratischplatonischen<br />

Philosophierens und existentiell wichtig für jeden, der sich als philosophos verstehen<br />

möchte? Nun, über die ‚Gemeinsamkeit‘ der Suche kursieren seit Schleiermachers berühmter<br />

‚Einleitung‘ (1804) allerhand Märchen und Mythen, die der Überprüfung am Text nicht standhalten.<br />

In Wirklichkeit ist die jeweilige Dialektikerfigur (heiße sie nun Sokrates, Diotima, Parmenides, Eleat,<br />

Athener) dem intellektuell weit schwächeren Partner stets meilenweit voraus und lenkt das Gespräch<br />

souverän nach eigenem Gutdünken. 1 Grundsätzlich sind ‚Sokrates‘, ‚der Eleat‘, ‚der Athener‘ usw.<br />

ihren Partnern so weit überlegen wie Diotima ihrem angeblichen Schüler Sokrates, und sie müssen es<br />

sein, wenn Einsicht bei den Partnern aufkommen soll.<br />

Die wesenhafte Dialogizität des platonischen Philosophierens müssen wird anderswo suchen:<br />

in der dianoia als dem innerhalb der Seele mit sich selbst geführten Zwiegespräch ohne ´Stimme´, d.h.<br />

ohne Verbalisation (ho entos tēs psychēs pros hautēn dialogos aneu phōnēs, Sop. 263 e3-5, vgl. Tht.<br />

184 e6-7). Diese innere Dialogizität braucht keinen Partner. Kein Wunder also, daß Sokrates sagen<br />

kann, es wäre besser für ihn, wenn die Menschen nicht mit ihm übereinstimmten als wenn er als der<br />

Einzelne, der er ist, mit sich selbst nicht im Einklang wäre (Gorg. 482 c1-3): die Homologie muß im<br />

eigenen Inneren gefunden werden, dann erst im Umgang mit anderen. Das ist auch der Sinn der<br />

Stellen, an denen gesagt wird, man verfolge das Argument primär um der eigenen Person willen,<br />

sekundär auch im Blick auf andere (Politeia 528 a1-5, Cha. 166 d3, Phdn. 91 a7-b1). Das Dialogische<br />

ist dem Erzielen der Übereinstimmung mit sich selbst unterzuordnen. Über diese Übereinstimmung,<br />

homologia, kann nur das eigene Denken, das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, befinden.<br />

Die Notwendigkeit der didachē meta synousias pollēs, der Lehre mit vielen<br />

Zusammenkünften (Nom. 968 c6), oder des phoitān para tēn didaskalon (vgl. Symp. 206 b6, 207 c6)<br />

wird damit nicht bestritten. Die Frage ist vielmehr, wo der philosophisch entscheidende Schritt erfolgt.<br />

Wenn er im ‚plötzlichen‘ (exaiphnes) Erblicken des Schönen selbst besteht, so kann sein Ort nur die<br />

Seele des einsam Denkenden sein. Die Schau und die ‚Berührung‘ des auto to kalon ist kein<br />

Gemeinschafts- und kein Paarerlebnis.<br />

1 Dies an allen Dialogen (mit Ausnahme von Ion und Menexenos) auch im Detail zu zeigen war die Aufgabe, die ich mir in<br />

„Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie“ (1985) und „Das Bild des Dialektikers in Platons späten Dialogen“ (2004)<br />

gestellt hatte.<br />

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