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Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...

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390 Uta Stolle<br />

Betonung der persönlichen Dolosität und die Thematisierung der<br />

„Verführung der Verführer" durch die Einbeziehung der historischen<br />

Ahnenreihe der „Verführer". So spricht Nolte vom „Wiederaufleben<br />

des letzten politischen Glaubens, den es in Europa gegeben hat, nämlich<br />

des Marxismus, unter besonderer Hervorhebung seiner anarchistischen<br />

Momente" 54 .<br />

Ein besonders eklatantes Beispiel für die bornierenden Konsequenzen<br />

des geistesgeschichtlichen Ansatzes bietet Ernst Topitsch: er reduziert<br />

die europäische Geschichte seit Anfang des 19. Jahrhunderts auf<br />

einen Gespensterkampf zwischen „modernen", die „Industriegesellschaft"<br />

bejahenden Denkweisen, worunter er im wesentlichen den<br />

wertfreien Positivismus begreift, und den „archaischen", vorindustrieller<br />

Zeit entstammenden Denkweisen mit „antimodernem Affekt".<br />

Die Archaika beginnen mit Hegel, enden vorläufig mit der Ideologie<br />

des studentischen Protests und umfassen gleichermaßen die geisteswissenschaftliche<br />

deutsche Universitätsideologie, die konservative Revolution,<br />

den <strong>Faschismus</strong>, den Marxismus und den Stalinismus. Absicht<br />

dieser wissenschaftstheoretisch verbrämten Rot = Braun-Theorie<br />

ist es, jegliche systemtranszendierende Kritik als vorindustriell abzuwerten<br />

und durch die Behauptung der strukturellen Ähnlichkeit<br />

faschistischer und sozialistischer Denkweise in einem Zuge den Sozialismus<br />

zu diffamieren und den Positivismus reinzuwaschen. Das konstituierende<br />

Prinzip ist hierbei die sich historisch tarnende Ahistorizität:<br />

alle oben genannten politischen Tendenzen werden aus der jeweiligen<br />

historischen Klassensituation heraus- oder von ihren sozialen<br />

Substraten losgerissen. Das Neuarrangement, die strukturelle<br />

Gleichsetzung von tatsächlich Unvereinbarem, erfolgt gemäß einem<br />

einzigen Kriterium, nämlich der „nicht wertenden Wissenschaft"<br />

(= Positivismus), dessen Willkürlichkeit unter dem „historischen" Anstrich<br />

als „moderne", „industriegesellschaftliche" etc. Denkweise verborgen<br />

werden soll. Die Quasihistorizität dieses Kriteriums zeigt sich<br />

darin, daß dessen historischer Anspruch, der Industriegesellschaft<br />

adäquat zu sein, gerade hinreicht, seine politisch-wissenschaftlichen<br />

Widersacher „historisch" zu diskriminieren, daß aber zugleich der<br />

Zusammenhang zwischen Positivismus und Industrialisierung, eben<br />

konkret: der der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise,<br />

geleugnet werden muß. Einen Höhepunkt dieser quasihistorischen<br />

Methode bildet der Versuch, durch Zitate von Angriffen faschistischer<br />

Theoretiker gegen die voraussetzungslose, wertfreie Wissenschaft die<br />

letztere, zum natürlichen Hauptwidersacher des Faschichmus zu stilisieren<br />

und dabei die faktische Verfolgung des revolutionären Sozialismus<br />

schlicht nicht zu erwähnen. Anschließend versucht Topitsch die<br />

strukturelle Ähnlichkeit von Rot und Braun zu suggerieren, indem er<br />

faschistische und marxistische Äußerungen über die beiden eigene<br />

Erkenntnis der Unmöglichkeit gesellschaftslosgelöster und voraussetzungsloser<br />

Wissenschaft nebeneinanderstellt und dabei den ausschlaggebenden<br />

historischen Unterschied bagatellisiert: daß nämlich<br />

54 Nolte, S. 48.

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