Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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Soziale Bewegung und Politik 461<br />
kurrierende Machtgruppen fixiert, welche dann in die Kategorien<br />
Staat und Partei gefaßt werden, ohne daß ihr materialer Gehalt,<br />
ihre sozio-ökonomischen Hintergründe und Vermittlungen diskutiert<br />
oder erwähnt würden.<br />
Anhand von ca. 50 ungedruckten, nur intern zugänglich gewesenen<br />
Aktenstücken breitet M. den steten Kleinkrieg zwischen der höheren<br />
Reichs- und preußischen Ministerialbürokratie einerseits und der<br />
NSDAP — hier besonders vertreten durch die Dienststelle des<br />
„Stellvertreters des Führers", später die Parteikanzlei Martin Bormanns<br />
— andererseits aus. Die Ansprüche letzterer auf personalpolitische<br />
Kontrolle der Beamtenschaft, bevorzugte Behandlung von<br />
ihr angehörenden Staatsbediensteten und zahlreiche Kompetenzkonflikte<br />
bezeichnet Verf. als Ausfluß mangelnden Sinns des NS für<br />
staatliche Ordnung und Organisation sowie Bürokratie überhaupt<br />
(20, 64). Desgleichen hätten das a-staatliche Denken Hitlers (121),<br />
dazu sein und der Partei Desinteresse an definitiven Kompetenzfestlegungen<br />
(98 f.), zu einer institutionellen Verwilderung geführt,<br />
die sich leistungsmindernd auswirken sollte (31). Dies ist im Sinne<br />
formeller Rationalität sicher nicht falsch; doch bleibt hier zu fragen,<br />
ob der auf dem Beamtentum beruhende Anstaltsstaat preußischer<br />
Prägung mit seiner für die Verwaltungskontinuität erforderlichen<br />
Bindung an selbstgesetzte rechtliche Normen nicht gerade zum.<br />
Hemmnis für das deutsche Monopolkapital in der damaligen Situation<br />
geworden war und vielmehr irrationalistischer Dezisionismus<br />
seinem politischen Überbau besser entsprach. (Vgl. Franz Neumann,<br />
Der Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft<br />
in: Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt/M., 1967,<br />
S. 67 ff.) Die von M. betonte „fortschreitende Zersetzung des überkommenen<br />
Obrigkeitsstaates" (13) unterm <strong>Faschismus</strong> beruht wohl<br />
auch auf dieser Dialektik.<br />
So blieb die Beamtenschaft ein Stabilitätsfaktor, zumal verschiedene<br />
den öffentlichen Dienst regelnde Gesetze ihre Struktur kaum<br />
veränderten (59), und die Geschichte ihrer „Selbstbehauptung" (15)<br />
bestand darin, daß sie Vollstrecker und partiell Gegenspieler sein<br />
konnte; letzteres nur in dem Maße, wie sie manche selbstzerstörerische<br />
Tendenzen des Regimes hemmte und somit wieder ihre herkömmliche<br />
Pflicht erfüllte. Hitlers Befürchtungen auf Sabotage (146)<br />
blieben unbegründet. Der Verfasser meint, das im Liberalismus verwurzelte<br />
traditionelle Berufsbeamtentum sei in der pluralistischen<br />
Industriegesellschaft schon vor 1933 überholt gewesen (24). Hätte er<br />
statt dessen von der antagonistischen Klassengesellschaft gesprochen,<br />
so wäre die Problematik wohl offenkundiger. Immerhin macht diese<br />
nützliche Veröffentlichung unausgesprochen deutlich, daß die Integration<br />
von Staat und Gesellschaft im <strong>Faschismus</strong> nicht mittels eines<br />
homogenen Beamtentums erfolgte, wie konservative Ideologen hofften<br />
(vgl. die Schulenburg-Denkschriften 137 ff., 146 ff.); dies schon<br />
aus dem Grunde, weil die gesellschaftliche Reproduktion kaum auf<br />
primär politisch-institutionellem Wege erfolgt.<br />
Michael-Viktor Graf Westarp (Berlin)