Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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402 Besprechungen<br />
Ist Lockes Lehre dem traditionellen oder dem modernen Naturrecht<br />
zuzuordnen? Dadurch bleiben der Forschungsansatz und die politische<br />
Stellung der verschiedenen Autoren ebenso im Dunkeln wie<br />
der historische Zusammenhang, in dem sich die Entwicklung vom<br />
traditionellen zum modernen Naturrecht vollzieht.<br />
Im Hauptteil des Buches referiert Euchner die Lockesche Naturrechtslehre<br />
auf ihren verschiedenen Entwicklungsstufen in bezug<br />
auf die Aussagen über die Ordnung des Universums und die Funktion<br />
des Gottesbegriffes in diesem System sowie die Natur und Aufgabe,<br />
die Locke dem Menschen zuschreibt. Er geht dann auf Lockes<br />
naturrechtliche Erkenntnistheorie und die Verbindlichkeit des natürlichen<br />
Gesetzes für das menschliche Handeln ein. Schließlich untersucht<br />
er den Einfluß der Lockeschen Naturrechtskonstruktion auf<br />
dessen Staatslehre. Es mag hier genügen, Euchners Vorgehen an<br />
einigen zentralen Punkten zu verdeutlichen.<br />
Seine Beschreibung der Lockeschen Anthropologie begnügt sich mit<br />
der Abwehr ihres überhistorischen Anspruchs durch die Feststellung,<br />
daß Locke „das Gesamtbild des bürgerlichen, vom Streben nach<br />
Eigentum und Gewinn motivierten Menschen" (109) wiedergebe. Anstatt<br />
die objektiven Zwänge der Kapitalentfaltung, die die Herausbildung<br />
des frühbürgerlichen Sozialcharakters bedingten, zu analysieren,<br />
schließt Euchner sich kritiklos dem Lockeschen Psychologismus<br />
an, der ein nicht weiter begründetes „Streben" als Ursache sozioökonomischer<br />
Entwicklung annimmt. Lockes Kategorien werden ungeprüft<br />
übernommen, ohne die Frage zu stellen, inwieweit sie wirklich<br />
für den frühbürgerlichen Sozialcharakter spezifisch sind: „Das<br />
kompetitive Verhalten mit allen seinen Auswüchsen war bei allen<br />
Klassen der Gesellschaft zu erkennen (bei den Besitzenden in noch<br />
stärkerem Maße als bei den Besitzlosen) — deshalb konnte Locke<br />
Selbstsucht, Ehrgeiz, Parteilichkeit und Rachsucht zu einer allgemeinen<br />
Charaktereigenschaft der Menschen erklären" (79). Damit stellt<br />
Euchner den Kampf um die Erhaltung der bloßen Existenz mit dem<br />
Kampf der Besitzenden um den Anteil am Mehrprodukt auf eine<br />
Stufe.<br />
In der <strong>Diskussion</strong> der Lockeschen Staatslehre stellt sich Euchner<br />
der traditionellen Apologie Lockes als Verkünder der menschlichen<br />
Freiheit entgegen, indem er betont: „Lockes Staat ist der Staat der<br />
Eigentümer; nur sie sind Vollbürger" (204) und als von der Lockeschen<br />
politischen Philosophie intendierten Staatszweck „die Sicherung<br />
der gesellschaftlichen Reproduktion auf der Basis bürgerlicher<br />
Verkehrsverhältnisse" (199) angibt. Doch wie bei der Untersuchung<br />
der Lockeschen Anthropologie vermag Euchner auch hier nicht über<br />
richtige, aber beschränkte Einsichten Lockes selbst hinauszugelangen.<br />
Er spricht abstrakt von den „Bedürfnisse(n) des aufstrebenden Bürgertums"<br />
(221) und weist auf das Interesse des Bürgertums an gesicherten<br />
Verhältnissen in der Zirkulationssphäre hin. An keiner<br />
Stelle dringt er jedoch bis zu einer Analyse der Produktionsverhältnisse<br />
vor, geschweige denn zu einer umfassenden Klassenanalyse.<br />
Seine Aussagen bleiben so allgemein, daß sie weder die historische