Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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306 Rainer Kretschmer und Helmut J. Koch<br />
verdeckt die zugrunde liegende Kontinuität der herrschenden Interessen,<br />
die im Bereich der ökonomischen Verfügungsgewalt ungebrochen<br />
fortbestehen und in der Rechtsprechung lediglich den Bereich<br />
des „Politischen" für eine völlige Umorganisierung freigeben<br />
müssen. Von Grund auf verändert werden allein die <strong>Institut</strong>ionen<br />
der Politik, der Meinungsbildung und der Erziehung. Auf diese qualitativen<br />
Veränderungen, und nur auf diese, reagieren die Totalitarismustheorien<br />
der Arendt, W. Kornhauser, C. J. Friedrich u. a. Entsprechend<br />
wird der Bereich der Ökonomie gar nicht oder nur aphoristisch<br />
behandelt (meist nur mit dem Hinweis auf die Tatsache der<br />
Planwirtschaft, als hinge nicht alles davon ab, wer plant); vom<br />
Rechtssystem findet nur der Bereich der politischen Justiz Interesse;<br />
breitesten Raum nimmt die Analyse der politisch-institutionellen<br />
Veränderungen und (besonders bei Hannah Arendt) der radikal veränderten<br />
individuellen Erlebniswelt ein. Nicht also die friedliche Koexistenz<br />
von bürgerlicher Gesellschaft und faschistischem Terror,<br />
sondern lediglich die <strong>Institut</strong>ionalisierung des Terrors wird zum<br />
Wesen des <strong>Faschismus</strong> erklärt. So erschöpft sich denn die Totalitarismustheorie<br />
in der Aufzählung phänomenologisch abdestillierter „totalitärer"<br />
Merkmale, zweitens in deren Untermauerung mit unzähligen<br />
Anekdoten und locker arrangierten Fakten aus dem Machtbereich<br />
Hitlers und Stalins und drittens in der im Schlußkapitel artikulierten<br />
Erleichterung, in der „pluralistischen" Gesellschaft der „Freien Welt"<br />
leben zu dürfen. Im gleichen Maße, wie die gewaltsame Antithetik<br />
von „Pluralismus" und „Totalitarismus" die Kontinuität kapitalistischer<br />
Interessen im <strong>Faschismus</strong> unterschlägt, wird das „monolithische"<br />
faschistische System zu einem System sui generis, weil es keinen<br />
fruchtbaren Schoß mehr gibt, aus dem es hätte kriechen können.<br />
Um den <strong>Faschismus</strong> möglichst weit jenseits bürgerlicher Wohlanständigkeit<br />
ansiedeln zu können, greifen diese <strong>Theorien</strong> also zu einer<br />
doppelten Stilisierung, nämlich<br />
1. der Unterschätzung oder Leugnung faschistischer Tendenzen der<br />
bürgerlichen Gesellschaft, und<br />
2. der Überschätzung einer inneren Geschlossenheit (Monolithismustheorem).<br />
Die behauptete innere Geschlossenheit des faschistischen Systems<br />
läßt für die (wünschenswerte) Veränderung nur noch die militärische<br />
Intervention von außen sinnvoll erscheinen. Im Kontext der frühen<br />
Totalitarismustheorien in den 40er Jahren (Franz Neumann, Ernst<br />
Fraenkel, Max Horkheimer) war dies der adäquate Ausdruck der<br />
weltweiten antifaschistischen Bewegung und hatte damit eine <strong>kritische</strong><br />
Funktion. Damals wurde der <strong>Faschismus</strong> in historisch-<strong>kritische</strong>r<br />
Analyse auf den Kapitalismus bezogen. „Totalitär" hieß damals faschistisch.<br />
Mit der Beziehung des <strong>Faschismus</strong> auf den Stalinismus in<br />
einer rein phänomenologischen, unhistorischen Methode wurde die<br />
antifaschistische Sprache zugleich eine antikommunistische. „Totalitär"<br />
meinte nun faschistisch und stalinistisch (bolschewistisch, kommunistisch).<br />
Die neuen <strong>Theorien</strong> verfielen damit einem Denken, das<br />
dem Psychologen als pathisch-projektives Ingroup-Outgroup-Schema