Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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305<br />
Rainer Kretschmer (f) und Helmut J. Koch<br />
Der Propagandaapparat des NS-Staates<br />
A. Zur Frage der Gleichschaltung von Fresse und Rundfunk<br />
I.<br />
Bei der Analyse von Begriffen wie „Terror" und „Propaganda"<br />
waren die politologischen Reflexe lange Zeit zuverlässig konditioniert.<br />
Der meist gutdotierte Versuch, dem Kalten Krieg auch in der wissenschaftlichen<br />
Begriffsbildung zur Salonfähigkeit zu verhelfen, führte<br />
zur Gleichung Rot = Braun, also zur Totalitarismustheorie. Außer<br />
auf der fundamentalen Gleichsetzung von <strong>Faschismus</strong> und Stalinismus<br />
(und meist noch der von Stalinismus und Sozialismus/Kommunismus)<br />
beruhen diese <strong>Theorien</strong> auf der Annahme eines streng monolithischen<br />
Charakters des totalitären Systems, das frei ist von institutionalisierbaren<br />
Konflikten und jede immanente Weiterentwicklung<br />
beliebig sistieren kann. Gegenübergestellt wird dieses barsche<br />
Modell der „pluralistischen" oder „offenen Gesellschaft", also dem<br />
liberalistischen Modell, das als absolut konträr empfunden wird.<br />
Mit dem von Horkheimer empfohlenen „Rückgang auf die Tendenzen<br />
des Kapitals" läßt sich dagegen das höchst ambivalente Verhältnis<br />
von <strong>Faschismus</strong> und Kapitalismus zeigen: Nicht die Grundordnung<br />
der liberal-kapitalistischen Gesellschaft wird im <strong>Faschismus</strong><br />
zerstört, sondern lediglich die spezifische Form jener ökonomischen,<br />
politischen, juristischen und psychologischen Vermittlungen von gesellschaftlichen<br />
Interessen mit der Staatsmacht. Zerstört wird diq<br />
Form von Vermittlungen, die einzig für die Phase eines funktionierenden,<br />
relativ atomistischen Wettbewerbskapitalismus typisch waren<br />
— und auch hier eher für dessen Modell als für die Wirklichkeit —,<br />
wobei die Phase des Wettbewerbs wiederum ein sehr kurzes Intermezzo<br />
bezeichnete, das mit der großen 1873er Krise in Deutschland<br />
endgültig ausgespielt hatte. Die mit einem liberalisierten Marktsystem<br />
verbundenen ökonomischen und politischen Freiheiten wurden deswegen<br />
nicht gleich abgeschafft. Ihre Kodifizierungen in den Grundrechten<br />
und im Privatrechtssystem blieben bestehen, doch wurden<br />
sie immer mehr ausgehöhlt. Ihre endgültige, spektakuläre und auch<br />
de jure vollzogene Aufhebung markiert der faschistische Eingriff,<br />
der einen qualitativen Sprung bedeutet: An die Stelle des formell<br />
freien Marktes treten massive staatliche Interventionen, insbesondere<br />
staatlich verordneter Lohnstop, an die Stelle von Parlament und diskutierender<br />
Öffentlichkeit hierarchisierte Befehlskompetenzen und<br />
Gleichschaltung der Massenmedien, an die Stelle eines universalen<br />
Rechts mit generellen Normen das Faustrecht der politischen Justiz,<br />
an die Stelle individuationsorientierter Erziehung autoritäre psychische<br />
Kollektivierung. Dieser spektakuläre Umbau der <strong>Institut</strong>ionen