Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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308 Rainer Kretschmer und Helmut J. Koch<br />
entscheidungen hinaus auch zur politischen Pression, weil sie ein Potential<br />
unartikulierter Zustimmungsbereitschaft mobil macht, das<br />
notfalls in eine plebiszitär definierte Akklamation übersetzt werden<br />
kann"K<br />
In der Tagespresse integrieren sich immer stärker die einst getrennten<br />
Bereiche von Räsonnement und Information einerseits und<br />
Belletristik andererseits: „Auf dem gemeinsamen Nenner des sogenannten<br />
human interest entsteht das mixtum compositum eines ...<br />
Unterhaltungsstoffes, der tendenziell Realitätsgerechtigkeit durch<br />
Konsumreife ersetzt und eher zum unpersönlichen Verbrauch von<br />
Entspannungsreizen ver- als zum öffentlichen Gebrauch der Vernunft<br />
anleitet" 2 . Von den Faschisten wird dieser „Feuilletonisierung<br />
des gesamten redaktionellen Inhalts" 3 eine Politisierung des Feuilletons<br />
entgegengestellt 4 . Kritisiert wird die aura of good will nicht,<br />
weil sie autoritär und denkfeindlich ist, sondern weil sie es nicht<br />
effektiv genug ist. Entsprechend wird auf „öffentliche Meinung" im<br />
klassischen Sinne verzichtet 5 , denn sie könne kein „einheitliches<br />
Wollen" herbeiführen. Die Aufgabe des Journalisten lautet jetzt<br />
unmißverständlich: „Wie der Dichter mit dem König zu gehen hat, so<br />
muß der Journalist mit dem Führer marschieren" 6 .<br />
III.<br />
Die Errichtung des „Reichsministeriums für Volksaufklärung und<br />
Propaganda" (RMVP) am 13. 3.1933 bedeutet die <strong>Institut</strong>ionalisierung<br />
und Zentralisierung der Kontrolle über die Systemkonformität der<br />
Massenmedien. Zunächst war die Presse davon betroffen. Das Schriftleitergesetz<br />
vom 4. 10. 1933 ernennt den Staat, also das RMVP, zu<br />
einer Art „Gesamtverleger", demgegenüber sich die Schriftleiter in<br />
einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis befinden.<br />
Die NS-Presse hatte vor der Machtergreifung keine sonderliche<br />
Rolle gespielt, ihr Aufstieg begann erst jetzt. Die sozialistische und<br />
linksliberale Presse wurde zerschlagen, die restliche gleichgeschaltet.<br />
Die Theorie der Gleichschaltung der Presse lieferte der nach dem<br />
Kriege wieder in Westberlin lehrende Professor für Publizistik Emil<br />
Dovifat. Die ökonomische Unterwerfung besorgte der NS-Pressetrust<br />
unter Max Amann. Die Verordnungen vom 24. 4. 1935 „Zur Wahrung<br />
der Unabhängigkeit des Zeitungsverlagswesens", „Zur Beseitigung<br />
der Skandalpresse", „Über Schließung von Zeitungsverlagen zwecks<br />
Beseitigung ungesunder Wettbewerbsverhältnisse" boten die Hand-<br />
1 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962,<br />
S. 220.<br />
2 ebd., S. 187.<br />
3 Theodor Fürstenau, Das Feuilleton der <strong>Berliner</strong> Boulevardpresse von<br />
1918 bis 1933, Inaugural-Dissertation an der Univ. Berlin, 1942, S. 304.<br />
4 Vgl. Emil Dovifat, in: Handbuch der Zeitungswissenschaft. Hrsg.<br />
Walther Heide, Leipzig 1940, Bd. 1, S. 984.<br />
5 Vgl. Emil Dovifat, Zeitungslehre, Bd. 1, Berlin 1937, S. 108—111.<br />
6 Franz Kiener, Die Zeitungssprache, Inaugural-Diss. an der Univ.<br />
München, 1937, S. 119—120.