Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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302 Richard Saage<br />
müßten relevant werden für die theoretische Strukturierung des Materials<br />
6 . Erst dann wäre es möglich, den <strong>Faschismus</strong> in seinem vielleicht<br />
akutesten Stadium zu identifizieren: wenn er auf die Mittel des<br />
offenen Terrors weitgehend verzichten kann, weil er mit Hilfe „demokratischer"<br />
Manipulationsmechanismen sich allgemeiner, „freiwilliger"<br />
Zustimmung erfreut.<br />
Zwar bedeutet die phänomenologische Methode insofern einen<br />
Fortschritt gegenüber der Typologie, als sie weder mit bloßen Abstraktionen<br />
noch mit fertigen Schemata operieren muß. Indem sie sich<br />
jedoch auf die ideologische Selbstexplikation des <strong>Faschismus</strong> im wesentlichen<br />
beschränkt, macht sie wohl die geistesgeschichtliche Genesis<br />
der faschistischen Weltanschauung sichtbar, unterläßt es aber, sie auf<br />
ihre sozioökonomischen Grundlagen zu beziehen. Nolte setzt somit eindeutig<br />
den Hauptakzent auf die ideologisch-politische Differenz zwischen<br />
<strong>Faschismus</strong>, Liberalismus und Konservativismus, ignoriert aber<br />
zugleich deren fundamentale Identität, die in dem Postulat gründet,<br />
daß der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater<br />
Aneignung unter allen Umständen aufrechtzuerhalten sei. Auch<br />
hat die phänomenologische Methode den nicht unbedeutenden Nachteil,<br />
daß sie ihre Optik allzu einseitig auf die intellektuelle und politische<br />
Biographie der faschistischen Führer einstellen muß, zumal<br />
vom <strong>Faschismus</strong> als von einer durch das Führerprinzip charakterisierten<br />
Bewegung auszugehen ist. Zwar fällt Nolte nicht auf die<br />
faschistische Propaganda herein, der „Führer" selbst habe die Bedingungen<br />
seiner Bewegung gleichsam aus dem Nichts geschaffen: dennoch<br />
ist die Nähe zu einer personalisierenden Geschichtsschreibung<br />
nicht zu leugnen 7 . Schließlich zwingt die phänomenologische Methode<br />
dazu, weitgehend in der verstehenden Immanenz des <strong>Faschismus</strong> zu<br />
verbleiben. Dadurch ist zwar eine Distanzierung von den sog. Totalitarismustheorien<br />
möglich, aber die gesellschaftliche Funktion des<br />
<strong>Faschismus</strong> gerät aus dem Blick. Diese Schwäche wird besonders<br />
deutlich, wenn Nolte in seinem Buch „Der <strong>Faschismus</strong>" diesen anhand<br />
eines umfangreichen Bildmaterials darzustellen versucht. Zwar weist<br />
er auf die Grenzen seiner Arbeit hin, die darin bestünden, daß ein<br />
Bild-Band „gerade dasjenige nicht zu erfassen (vermag), was nicht in<br />
den Bereich der Anschauung fällt oder sich der fotografischen Dokumentation<br />
entzogen hat" (d 403). Aber der Gefahr, die ein Rückgriff<br />
auf das „ungeheure fotografische Material", das der <strong>Faschismus</strong> hinterließ,<br />
in sich birgt, nämlich die Übernahme der Blickweise, „welche<br />
es hervorgebracht hat" (d 403), entgeht Nolte nur partiell. Zwar<br />
schreibt er: „Es gibt keine Fotos von der Ermordung Matteottis, von<br />
den Erschießungen des 30. Juni 1934, von den Vorgängen in den<br />
6 Vgl. hierzu: Urs. Müller-Plantenberg, Neuere Literatur über den<br />
<strong>Faschismus</strong>, in: Das Argument 30, 3/1964, S. 146. Siehe außerdem u. a. hierzu:<br />
O. Bauer, H. Marcuse, A. Rosenberg: <strong>Faschismus</strong> und Kapitalismus.<br />
<strong>Theorien</strong> über die sozialen Ursprünge und die Funktion des <strong>Faschismus</strong>,<br />
hrsg. v. W. Abendroth, Frankfurt 1967, besonders S. 7.<br />
7 Vgl. hierzu besonders: Urs. Müller-Plantenberg, a.a.O., S. 146.