Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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Philosophie 417<br />
Erfahrungen verfügte, die ihm Einsichten über die „Verwendung<br />
konkreter Formeln" (161) hätten vermitteln können. Sorel will einen<br />
Beitrag zum Marxismus liefern, der diesen praktikabel werden läßt.<br />
Im „revolutionären Syndikalismus" glaubt er die gesuchte praktische<br />
Gestalt des Marxismus gefunden zu haben. Zunächst geht es ihm darum,<br />
die Marxsche Theorie von dem — von ihm verächtlich als „intellektualistische<br />
Philosophie" bezeichneten — Rationalismus zu filtrieren,<br />
insbesondere von dessen — von Sorel als spezifisch deutsch ausgemachten<br />
— „schwerfällige(m) und zerbrechliche(m) Apparat" (150),<br />
der den Marxismus belaste.<br />
Sorels Syndikalismus beruht auf dem Mythos des Generalstreiks.<br />
Einen Mythos hält Sorel für notwendig, weil man die Proletariermassen<br />
nur durch Glaubensbekenntnisse und nicht durch rationale <strong>Theorien</strong><br />
in Bewegung bringen könne. Schließlich lasse sich der Mythos<br />
nicht analysieren und damit nicht in widerlegbare Teile zerlegen.<br />
„Sobald man sich auf dieses Feld der Mythen stellt, ist man gegen<br />
jede Widerlegung gedeckt" (43). Durch die Entlehnung des Begriffes<br />
Intuition aus der irrationalistischen Lebensphilosophie Bergsons<br />
glaubt er, eine Synthese zwischen Marx und Bergson herstellen zu<br />
können. So basiere der Generalstreik auf einer Gesamtheit von Bildern,<br />
die durch Intuition hervorgerufen werden können und der Analyse<br />
nicht zugänglich sind (cf. 138). Demzufolge ist der Generalstreik<br />
ein Mythos, „in dem der Sozialismus ganz und gar beschlossen ist: das<br />
heißt eine Ordnung von Bildern, die imstande sind, unwillkürlich alle<br />
die Gesinnungen herauszurufen, die den verschiedenen Kundgebungen<br />
des Krieges entsprechen, den der Sozialismus gegen die moderne<br />
Gesellschaft aufgenommmen hat" (14 ). Sozialismus in der Interpretation<br />
Sorels ist eine permanente Gewaltausübung, ein Bürgerkrieg in<br />
Form eines Generalstreiks. Durch den Syndikalismus werden „die sozialen<br />
Konflikte den Charakter eines reinen Kampfes, ähnlich dem<br />
von Armeen im Felde, annehmen" (130). In dieser kriegerischen Auseinandersetzung<br />
prallen zwei Formen von Gewalt aufeinander: die<br />
etablierte Staatsgewalt (force), die den Status quo verficht, und die<br />
revolutionäre, proletarische Gewalt (violence), die den Staat zerstören<br />
will (203). Marx soll diese Unterscheidung unbekannt gewesen sein<br />
(cf. 211), so daß Sorel es als seinen Beitrag ansieht, zwischen diesen<br />
beiden Typen von Gewalt differenziert zu haben. Der violence schreibt<br />
er eine Moralität zu (213 ff.) und sieht sich zu einer Apologie der proletarischen<br />
Gewalt veranlaßt (339 ff.). Bereits Lukäcs hat darauf hingewiesen,<br />
daß das, was bei Sorel proletarisch heißt, „nichts weiter als<br />
eine abstrakte Verneinung aller Bürgerlichkeit ohne irgendeinen konkreten<br />
Inhalt" ist 1 . Weiter zeigt Lukäcs, daß die Verherrlichung der<br />
Gewalt bei Sorel auf dem von Bergson entliehenen Begriff der „durée<br />
réelle" beruht, so daß es Sorel bei der Gewaltausübung auf die Dauer<br />
der vom Mythos des Generalstreiks geleiteten Massenbewegung ankommt<br />
und nicht mehr auf das gesteckte Ziel. Zwar ist Sorel seinem<br />
Selbstverständnis nach kein Faschist, doch machte die Struktur des<br />
1 G. Lukas: Die Zerstörung der Vernunft, Werke Bd. 9, Neuwied 1962,<br />
p. 33.