Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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320 Rainer Kretschmer und Helmut J. Koch<br />
men sowohl für die Aufnahme neuer Informationen, z. B. über die<br />
Sowjetunion, als auch für politische Stellungnahmen und Entscheidungen<br />
bilden. Noch immer kann ein sonst nicht viel beachteter Präsident<br />
eines Kinderschutzbundes in den bürgerlichen Zeitungen verkünden,<br />
daß antiautoritäre Kinderläden die Kinder „systematisch zu<br />
bolschewisieren" versuchen 20 . Noch immer warnt Barzel vor der Gefahr<br />
einer „sowjetrussischen Hegemonie" 21 , um sich die der USA zu sichern.<br />
Beinahe täglich sind neue Beispiele für diese Art von Kontinuität<br />
zum Dritten Reich in den Zeitungen zu finden. Dem Wunsch<br />
nach Vernichtung des Bolschewismus entsprach der Wunsch nach<br />
einer Neuordnung Europas unter Führung Deutschlands. Wie sehr<br />
die Neuordnung Europas in der Nachkriegszeit Kapitalinteressen<br />
diente, möge man bei Ernest Mandel, „Die EWG und die Konkurrenz<br />
Europa — Amerika" nachlesen. Interessant ist, daß die FZ und >Das<br />
Reich< von Beginn des Krieges an die politisch-wirtschaftliche Einigung<br />
des „balkanisierten Kontinental-Europa" ins Auge faßten und<br />
immer wieder — wenn auch vage — als Kriegsziel beschrieben. Darin<br />
mag gewiß auch ein Appell zur Solidarität der angesprochenen Län-j<br />
der im militärischen Kampf gegen die Alliierten stecken 22 . Das Überleben<br />
dieser Idee und ihre weitgehende Realisierung in der Nachkriegszeit<br />
bestätigen jedoch, daß die Politik des Dritten Reiches wirtschaftlichen<br />
Interessen, insbesondere der Großindustrie, stark entgegenkam.<br />
Die bürgerliche Presse als Sprachrohr dieser Interessen<br />
hat nicht zum militärischen Kampf um ihre Durchsetzung aufgerufen,<br />
aber sie hat, nachdem der Kampf einmal entbrannt war, ihm<br />
einen Sinn gegeben und ihn damit gerechtfertigt. Theodor Heuß,<br />
Nickolas Benckiser, Margret Boveri, Friedrich Sieburg, Paul Sethe,<br />
Walter Henkels, Hicks, Werner Höfer, Benno Reifenberg, Manfred<br />
Hausmann, Joachim Fernau, Karl Korn, W. E. Süßkind, das sind nur<br />
einige wenige Namen von früheren Mitarbeitern der FZ oder der<br />
Zeitschrift >Das ReichDas Reich< belegen, die zugleich Musterbeispiele sind für die für<br />
diese Zeitschrift typische infame propagandistische Verzerrung unter<br />
dem Deckmantel einer zurückhaltenden, „sachlichen" Sprache.<br />
20 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 4. 1970.<br />
21 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. 4. 1970.<br />
22 Für diesen Zweck gab es in der ausschließlich im Ausland und den<br />
eroberten Gebieten vertriebenen Illustrierten >Signal< ein spezielles Propagandamedium.