Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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272 Reinhard Kiïhril<br />
Leser, daß die Sowjetunion die östliche Teile Polens besetzen kann,<br />
ohne mit dem deutschen Militär in Konflikt zu geraten. Das gilt zum<br />
Teil auch für den Atombombenabwurf der USA 1945, der Japan sofort<br />
zur Kapitulation zwang (freilich ebenso gegen die Sowjetunion<br />
gerichtet war, um zu demonstrieren, daß fortan die Vereinigten Staaten<br />
in der Lage seien, in der Weltpolitik die Bedingungen zu diktieren)<br />
5 . Das sowjetische Werk ist nämlich bemüht, den unwiderstehlichen<br />
Vormarsch der Roten Armee als entscheidenden Grund für die<br />
japanische Kapitulation darzustellen, läßt den Atombombenabwurf<br />
im Text deshalb unerwähnt und nimmt lediglich in der angehängten<br />
Zeittafel einen entsprechenden Hinweis auf.<br />
Diese Beispiele genügen, um zu zeigen, daß diese Schriften kritisch<br />
gelesen werden müssen. Liest man sie aber in Kenntnis dieser ja keineswegs<br />
neuen, in den letzten Jahren übrigens allmählich sich abschwächenden<br />
Mängel, so vermitteln sie ein ziemlich realistisches<br />
Bild jener Geschichtsperiode und eine Fülle wertvoller Informationen,<br />
die man in den meisten bürgerlichen Darstellungen nicht findet.<br />
Anhand dieser Schriften, in denen alle für den deutschen <strong>Faschismus</strong><br />
wesentlichen Merkmale und Kausalzusammenhänge zur Sprache<br />
kommen, können einige Thesen entwickelt werden, die, zusammengenommen,<br />
das Gerippe einer Theorie über den deutschen <strong>Faschismus</strong><br />
ergeben:<br />
1. Die Ursachen für den Aufschwung der faschistischen Bewegung<br />
und der „Machtergreifung" erblicken sie darin, daß „anfänglich eine<br />
kleine Gruppe von Monopolisten, großen und mittleren Bougeois" die<br />
NSDAP „aufgepäppelt und hochgebracht" und daß „schließlich am<br />
19. November 1932 die deutsche Hochfinanz (Hitler) als ihren Reichskanzler<br />
gefordert" hat (b 13; vgl .auch a, Bd. 9, 210). Diese These muß<br />
m. E. differenziert werden. Was den Aufstieg des <strong>Faschismus</strong> zur<br />
Massenbewegung betrifft, so sind die Ursachen nicht primär in der<br />
Unterstützung des Großkapitals zu suchen. Der in der Tat strukturelle<br />
Zusammenhang zwischen <strong>Faschismus</strong> und Kapitalismus ist hier<br />
weniger unmittelbar — wenngleich nicht weniger evident: Die im<br />
kapitalistischen System begründete Wirtschaftskrise trieb die verängstigten<br />
Massen, vorab die proletarisierten oder von der Proletarisierung<br />
bedrohten Mittelschichten zum <strong>Faschismus</strong>, der ihnen soziale<br />
Sicherheit und nationales Prestige versprach und Objekte bot,<br />
an denen sie ihre Aggressionen gefahrlos entladen konnten. Erst als<br />
sich der <strong>Faschismus</strong> zur Massenbewegung formiert hatte, setzte die<br />
Unterstützung des Großkapitals ein, die sich schließlich zu einem<br />
politischen Bündnis verdichtete. Das hat freilich dann die Propagandamöglichkeiten<br />
des <strong>Faschismus</strong> weiter verstärkt und seinen Aufstieg<br />
beschleunigt. Die vorliegenden Darstellungen dagegen dehnen<br />
die ohnehin problematische „Agententheorie" sogar auf die Aufstiegsphase<br />
des <strong>Faschismus</strong> aus, um die faschistische Bewegung als<br />
ein Instrument zu erweisen, das sich von Anfang an in der Hand der<br />
5 Vgl. G. Alperovitz, Atomare Diplomatie. Hiroshima und Potsdam,<br />
München 1966.