Faschismus-Theorien (VI) / Diskussion - Berliner Institut für kritische ...
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326 Peter Römer<br />
mit Maßnahmen, nicht aber auf Grund eigenständiger genereller<br />
Regelung eingreifen. Für Forsthoff ist der reine Rechtsstaat, d. h. der<br />
Staat, der sich existentiell in der Rechts- und Ämterordnung erschöpft,<br />
eine „Gemeinschaft ohne Ehre und Würde". Begrüßt wird<br />
der Nationalsozialismus, weil er das bürgerliche Zeitalter mit rücksichtsloser<br />
Entschlossenheit liquidiere und den Staat wiederherstelle,<br />
der nach der Abschaffung der Monarchie dem Spiel der gesellschaftlichen<br />
Kräfte ausgeliefert worden sei, und mit ihm das Politische, das,<br />
von seinem legitimen Ort vertrieben, sich in der Gesellschaft selbst<br />
angesiedelt habe 8 . Die Verselbständigung der Staatsgewalt, das Zurücknehmen<br />
des Politischen in das Staatliche, ist also für Forsthoff ein<br />
wesentliches Kennzeichen eines jeden faschistischen Systems. In der<br />
Perspektive einer funktionellen Einheit von Staat und Gesellschaft<br />
kann deshalb das <strong>Faschismus</strong>- und NPD-Problem nicht mehr in den<br />
Blick kommen, weil für Forsthoffs <strong>Faschismus</strong>theorie Staat und Gesellschaft<br />
grundsätzlich geschieden sind.<br />
Die Verselbständigung des Staates und seines Apparates ist in den<br />
<strong>Theorien</strong> über den <strong>Faschismus</strong> 9 vor allem von August Thalheimer<br />
in Anlehnung an die Schrift von Marx „Der Achtzehnte Brumaire des<br />
Louis Bonaparte" untersucht und als Charakteristikum des <strong>Faschismus</strong><br />
herausgestellt worden 10 . Dieser Ansatz Thalheimers 11 ist von<br />
Griepenburg und Tjaden mit Recht „als der begrifflich differenzierteste<br />
und am ehesten noch historisch bestätigte" 12 bezeichnet worden.<br />
Er unterscheidet sich von dem Ansatz der Totalitarismustheorien<br />
durch die Ablehnung der Formel „rot gleich braun" und vor allem durch<br />
die Erkenntnis, daß der Staat eine von der Gesellschaft abgetrennte<br />
Existenz besitzt, sich dieser gegenüberstellt und mithin auch als<br />
„totalitärer" doch Staat bleibt, indes erst der Vereinigung von Staat<br />
und Gesellschaft der Begriff Totalitarismus adäquat sein könnte.<br />
Deshalb ist auch das Nebeneinander von Norm und Maßnahme für<br />
den faschistischen Staat typisch 13 ; weil Staat und Gesellschaft sich<br />
nicht decken und deshalb staatliche und wirtschaftliche Planungen in<br />
8 Forsthoff, Der totale Staat, S. 26.<br />
9 Vgl. den informativen Überblick bei Nolte (Hrsg.), <strong>Theorien</strong> über den<br />
<strong>Faschismus</strong>, Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 1967, S. 15 ff.<br />
10 Dieses Merkmal fehlt bei Kühnl, Deutschland zwischen Demokratie<br />
und <strong>Faschismus</strong>, Reihe Hanser, 1969, S. 143 ff. als selbständiges Merkmal<br />
des <strong>Faschismus</strong>; zu Kühnls <strong>Faschismus</strong>theorie vgl. auch Herkommer, NPD<br />
in der „formierten Gesellschaft", Das Argument 48, 10. Jg. 1968, H. 4/5,<br />
S. 309 ff.<br />
11 Vgl. Thalheimer, Uber den <strong>Faschismus</strong>, in: Bauer, Marcuse, Rosenberg<br />
u. a., <strong>Faschismus</strong> und Kapitalismus, <strong>Theorien</strong> über die sozialen Ursprünge<br />
und die Funktion des <strong>Faschismus</strong>, Hrsg. von Wolfgang Abendroth,<br />
1967, S. 19 ff.; vgl. zu Thalheimer: Tjaden, Struktur und Funktion<br />
der „KPD-Opposition" (KPO), Marburger Abhandlungen zur Politischen<br />
Wissenschaft, Hrsg. Wolfgang Abendroth, Bd. 4, 1964, S. 271 ff.<br />
12 Griepenburg-Tjaden, <strong>Faschismus</strong> und Bonapartismus, Das Argument<br />
41, 8. Jg. 1966, H. 6, S. 461.<br />
13 Vgl. Fraenkel, The dual State, 1941.