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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Einleitung<br />

Staat nach <strong>und</strong> nach den Griff auf das religiöse Monopol gelockert <strong>und</strong> private<br />

Auslegungen des Glaubens zuerst toleriert, um diese dann endlich einen öffentlichen<br />

Ort beziehen zu lassen (Seufert 1997). Der Streit um die Definitionsmacht des<br />

<strong>Religiöse</strong>n ist nun in aller Heftigkeit entbrannt.<br />

In Deutschland bilden die islamische Gruppen von neuem eine religiöse Min<strong>der</strong>heit,<br />

<strong>der</strong> zudem die Öffentlichkeit mit Mißtrauen begegnet. Die Konstellationen haben sich<br />

dadurch verschoben. Die Privatisierung erlaubt den islamischen <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong>, ihre<br />

Glaubensüberzeugung zu artikulieren <strong>und</strong> sich zur gleichen Zeit zu differenzieren - ein<br />

Prozess, <strong>der</strong> noch lange nicht abgeschlossen ist (Gerdien Jonker). In ihrem Innern<br />

unterhält jede <strong>der</strong> islamischen Glaubensgemeinschaften eine an<strong>der</strong>e Beziehung zur<br />

Transzendenz. Wie bereits oben angemerkt wurde, hat dies unterschiedliche Konsequenzen<br />

für die religiöse Organisation, die antwortende Haltung <strong>der</strong> Gläubigen <strong>und</strong><br />

die Grenzziehung zur Außenwelt. Die Schüler von Süleyman Hilmi Tunahan (VIKZ)<br />

zum Beispiel befürworten eine Intensivierung des Glaubens durch Studium <strong>und</strong> Gebet.<br />

Der kollektive Versuch, sich Gott zu nähern, wirkt sich auf die Gruppenkohärenz <strong>aus</strong>.<br />

So hat diese Organisation bereits kollektive Strukturen aufgebaut - von<br />

Nachbarschaftstreffen bis zu einer Islamischen Akademie, die Wege <strong>der</strong> Kommunikation<br />

mit <strong>der</strong> deutschen Mehrheitsgesellschaft ebnen können. Gläubige im<br />

Umfeld <strong>der</strong> Milli GörüÕ-Moscheen legen dagegen den Akzent auf persönliche<br />

Verantwortung im sozialen Handeln <strong>und</strong> damit auf Individualität. Es kann kaum ein<br />

Zufall sein, daß sich alle Beiträge in diesem Band zur Individualisierung mit jungen<br />

Leuten beschäftigen, die im Umkreis von Milli GörüÕ anzusiedeln sind (Nikola Tietze,<br />

Gritt Klinkhammer <strong>und</strong> Sigrid Nökel). In <strong>der</strong> Glaubenswelt des Milli GörüÕ ist es das<br />

Individuum, das versucht, sich einen Zugang zur Mehrheitsgesellschaft zu verschaffen.<br />

Daher hat diese Organisation bis heute noch kaum kollektive Strukturen<br />

hervorgebracht, um die Kommunikation zur Außenwelt zu erleichtern.<br />

Die islamische religiöse Min<strong>der</strong>heit verfügt im Gegensatz zu den klassischen<br />

religiösen <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> über geringe Ressourcen, wenn es darum geht, ihre<br />

<strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong>position religiös zu verorten. Die islamische Tradition bietet zwar die<br />

Unterscheidung in dar-al-islam (islamisches Territorium) <strong>und</strong> dar-al-harb (nichtislamisches<br />

Territorium) an <strong>und</strong> gibt auch genaue Anweisungen, wie <strong>der</strong> Gläubige sich<br />

in dem jeweiligen Kontext zu verhalten hat. Der dar-al-harb wur-de aber nie ernsthaft<br />

als ein Territorium betrachtet, in dem ein Muslim sich länger aufhalten o<strong>der</strong> gar<br />

bleiben würde. So gibt es heute in Deutschland viele Fragen <strong>und</strong> wenige Antworten.<br />

Die neue, von <strong>der</strong> Tradition nicht vorgesehene Situation regt die islamischen<br />

Gemeinden zur Suche nach neue Lösungen an.<br />

Auch die türkische religiöse Auslandbehörde (DITIB) gehört in Deutschland<br />

schließlich zur religiösen Min<strong>der</strong>heit. Die Definitionsmacht, die ihr von <strong>der</strong> türkischen<br />

Republik übertragen worden war, wurde mit dem Wechsel des nationalstaatlichen<br />

Rahmens eingeschränkt. Natürlich verfügt sie, im Gegensatz zu den klassischen<br />

<strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> o<strong>der</strong> den orthodoxen Wi<strong>der</strong>standsgemeinden, über Instrumente <strong>der</strong><br />

Macht, mit <strong>der</strong>en Hilfe sie sich Wege zur Medienöffentlichkeit <strong>und</strong> zu<br />

Bildungseinrichtungen zu bahnen versucht: die Konsulate o<strong>der</strong> das offizielle türkischdeutsche<br />

Abkommen über den Religionsunterricht. Der Konkurrenzkampf um die

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