Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Ein Nachwort zum Motto <strong>der</strong> Tagung<br />
Ein weiterer Aspekt in <strong>der</strong> Beziehung von <strong>Kern</strong> <strong>und</strong> <strong>Rand</strong> ist die schmerzliche<br />
Erfahrung <strong>der</strong> Marginalisierung, die Migranten in <strong>der</strong> Aufnahmegesellschaft<br />
vielfach erleiden. In dieser Perspektive bildet nicht das Herkunftsland,<br />
son<strong>der</strong>n das Aufnahmeland das <strong>Zentrum</strong>. Migranten verbleiben demgegenüber<br />
vorerst an <strong>der</strong> Peripherie - mit <strong>der</strong> Aussicht, daß sie sich entwe<strong>der</strong> langsam auf<br />
die Mitte <strong>der</strong> Gesellschaft hinbewegen (um vielleicht <strong>der</strong>einst in ihr aufzugehen)<br />
o<strong>der</strong> daß sie womöglich auf Dauer am <strong>Rand</strong>e leben müssen. "Wir sind die<br />
ewig Beschissenen" - so drückt ein junger muslimischer Migrant die Bitterkeit<br />
über seine Situation <strong>aus</strong> (vgl. Nikola Tietze). Unter Diskriminierung <strong>und</strong> Stigmatisierung<br />
seitens <strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft leiden nicht zuletzt kopftuchtragende<br />
muslimische Frauen, wie <strong>der</strong> Fall Ludin zeigt (vgl. Yasemin Karako-<br />
Õo—lu-Ayd9n). Islamische Gemeinden klagen vielfach über die Marginalisierung,<br />
die meist mit einer Isolierung von <strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft<br />
einhergeht (vgl. Gerdien Jonker). Die dar<strong>aus</strong> erwachsene Frustration spielt<br />
denen in die Hände, die an substantiellen Beziehungen mit <strong>der</strong> Außenwelt<br />
nicht (bzw. nicht mehr) interessiert sind <strong>und</strong> die Identität <strong>der</strong> Gruppe in <strong>der</strong><br />
entschiedenen Distanz gegenüber <strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft suchen. Erlittene<br />
Isolierung <strong>und</strong> frei gewählte Selbstisolierung gehen manchmal Hand in Hand<br />
<strong>und</strong> lassen sich nicht immer klar voneinan<strong>der</strong> unterscheiden. Der p<strong>aus</strong>chale<br />
F<strong>und</strong>amentalismusverdacht, dem sich viele muslimische Verbände <strong>aus</strong>gesetzt<br />
sehen, kann so zur self-fulfilling prophesy werden.<br />
Beson<strong>der</strong>s prekär ist die Situation solcher Gruppen, die eine doppelte o<strong>der</strong><br />
mehrfache Marginalisierung erleiden. Dies gilt beispielsweise für türkische<br />
Christen in Deutschland, die unter den türkischstämmigen Migranten eine<br />
kleine Min<strong>der</strong>heit bilden <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft, die die Türken<br />
p<strong>aus</strong>chal mit dem Islam konnotiert, überhaupt nicht wahrgenommen werden.<br />
Als <strong>Rand</strong>gruppe innerhalb einer <strong>Rand</strong>gruppe sind sie in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
praktisch nicht präsent. Das unverhohlene Erstaunen, mit dem die deutsche<br />
Bevölkerung Christen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> immer wie<strong>der</strong> begegnet, ist als Ausdruck<br />
<strong>der</strong> totalen Marginalisierung eine "bittere Erfahrung" (Georges Tamer). Im<br />
"diasporischen Volk" <strong>der</strong> Syrisch-Orthodoxen, die mehrheitlich ihre alte<br />
Heimat verloren haben, macht sich deshalb Hoffnungslosigkeit breit: "Wir sind<br />
so wenige"; "keiner kennt uns"; "die Deutschen haben keine Ahnung, wer wir<br />
sind"; "wir sind verloren" (Heidi Armbruster). Schwierig ist auch die Lage <strong>der</strong><br />
Yeziden: Von den Türken als Kurden politisch verdächtigt, von den muslimischen<br />
Kurden <strong>und</strong> Türken gleichermaßen als Ungläubige abgelehnt <strong>und</strong> von<br />
<strong>der</strong> deutschen Mehrheit vollkommen ignoriert, bilden auch sie eine<br />
<strong>Rand</strong>gruppe in <strong>der</strong> <strong>Rand</strong>gruppe. Wie kann es ihnen gelingen, eine positive<br />
"Standortbestimmung" zu bewerkstelligen (Banu Yalkut-Bred<strong>der</strong>mann)?<br />
Relativ gut zurecht kommen anscheinend die türkischen Baha6i, die als<br />
"Ausnahme-Türken" zwar ebenfalls Ausgrenzungserfahrungen machen<br />
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