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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Individualisierung durch den Islam<br />

"Diese Sachen sind ja nicht eng, son<strong>der</strong>n extra weit gemacht, damit die<br />

Körperteile nicht, zum Beispiel wie bei mir, ich mein, Gott vergebe<br />

wie<strong>der</strong>, ich mein, ich hab auch so ein bißchen ... enge Sachen an.<br />

Dieses hat den Zweck, was die tragen, daß sie weit sind <strong>und</strong> daß die<br />

Körperteile nicht so ... sichtbar sind. Und dann auch niemanden<br />

reizen, ... wie ich eben schon gesagt habe, wir müssen ... wie soll ich<br />

sagen ... psychisch <strong>und</strong> auch vom Wissen so motiviert herangehen,<br />

daß wir das irgendwann auch mal schaffen. Aber für Jugendliche ist<br />

es auch wirklich sehr schwer, wenn man sich so als Jugendlicher das<br />

zutraut ... den würde ich bew<strong>und</strong>ern, das ist nicht einfach" (ibid.).<br />

Murat benutzt theologische, wissensvermittelte Erinnerungsfiguren, um sich in<br />

die "lignée croyante" <strong>der</strong> Muslime (Hervieu-Léger 1993) zu integrieren. Dadurch<br />

löst er den Islam von <strong>der</strong> sozialen Situation, "ein Türke" in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

zu sein, ab <strong>und</strong> macht ihn zu einem Glauben, <strong>der</strong> eine universale Ordnung setzt.<br />

Die Form seiner religiösen Erinnerung wird so zu einem Auseinan<strong>der</strong>setzungsmodus<br />

mit <strong>der</strong> kulturellen Religiosität seiner Eltern <strong>und</strong><br />

gleichzeitig zu einem Mittel, das ihm soziales Handeln als Muslim in <strong>der</strong><br />

deutschen Gesellschaft ermöglicht. Die utopische Perspektive <strong>der</strong> theologischen<br />

Erinnerungsfiguren befreit ihn von den Barrieren, die ihm die sozio-kulturellen<br />

Strukturen <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esrepublikanischen Öffentlichkeit auferlegen, <strong>und</strong> schützt<br />

ihn so vor Entfremdung im gesellschaftlichen Raum.<br />

Osman, <strong>der</strong> oben als engagiertes Mitglied einer lokalen Milli GörüÕ-Gemeinde<br />

vorgestellt worden ist, redet viel von den negativen Folgen <strong>der</strong> Reformen<br />

Atatürks für die <strong>Türkei</strong>. Der "wahre" Islam war für ihn nur im osmanischen<br />

Reich möglich, das her<strong>aus</strong>ragende wirtschaftliche, politische <strong>und</strong> kulturelle<br />

Leistungen erbracht habe. Im Falle dieses jungen Mannes verschmelzen religiöse<br />

Identifikation <strong>und</strong> Glorifizierung einer politischen Ordnung in <strong>der</strong> türkischen<br />

Geschichte miteinan<strong>der</strong>. Muslimische Erinnerung wird zum Gedächtnis an die<br />

Osmanen <strong>und</strong> scheint auf den ersten Blick losgelöst von <strong>der</strong><br />

b<strong>und</strong>esrepublikanischen Öffentlichkeit, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> junge Muslim jedoch als<br />

Student <strong>und</strong> Bürger eines Stadtteils engagiert ist. Osman eignet sich mit dieser<br />

Form religiöser Erinnerung die Alterität an, die ihm im gesellschaftlichen Raum<br />

auferlegt wird. Als "Türke" wahrgenommen <strong>und</strong> - wie er mit zahlreichen<br />

Begebenheiten belegt B als solcher diskriminiert, verarbeitet er seine sozialen<br />

Erfahrungen mit Hilfe von Erinnerungsfiguren, die geographisch außerhalb <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik liegen, "exterritorial" sind. Die erlebte Differenz wird in eine<br />

religiöse Erinnerung übersetzt, die vollkommen getrennt von kulturellen o<strong>der</strong><br />

historischen Bezügen in <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft ist. Nichtsdestotrotz erhält<br />

diese Form religiöser Erinnerung erst im Zusammenhang mit <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esrepublikanischen<br />

Einwan<strong>der</strong>ungsgeschichte <strong>und</strong> <strong>der</strong> sozialen Lage <strong>der</strong> jungen<br />

Leute wie Osman ihren Sinn für das Subjekt. So hat das als "exterritorial"<br />

definierte "An<strong>der</strong>ssein" <strong>der</strong> Söhne <strong>der</strong> türkischen Einwan<strong>der</strong>er u. a. zur Folge,<br />

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