Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Sigrid Nökel<br />
sie zunächst allerdings nicht bemerkt, weil es sie nicht direkt betrifft, "<strong>aus</strong>län<strong>der</strong>feindlich",<br />
aber sie findet in ihr eine Mentorin, die ihr Verhalten wohlwollend<br />
korrigiert, ihr Selbst stützt <strong>und</strong> positiv formt. Ayla resümiert anerkennend, daß<br />
sie von ihr "gesellschaftlich sehr geför<strong>der</strong>t" wurde. Das bedeutet in dem Kontext,<br />
daß sie sie in den universalistischen Tugenden, die freilich schon in ihrer<br />
Persönlichkeit <strong>und</strong>, indem sie auf den väterlichen Erzieher verweist, in ihrer<br />
familiären Sozialisation, angelegt waren, bestärkt <strong>und</strong> vervollkommnet hat. Sie<br />
hat sie ermutigt, sich als Gleichberechtigte mit den Jungen <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>zusetzen,<br />
sie notfalls auch zu schlagen. Sie hat sie darin bestärkt, ihre Meinung zu äußern.<br />
Die Wende tritt allerdings ein, als Ayla im Alter von 14 Jahren mit dem<br />
Kopftuch zur Schule kommt. Der Konsens ist gestört, die Harmonie bekommt<br />
einen Riß. Sie darf das Tuch in <strong>der</strong> Klasse nicht tragen. Es wird ihr nicht<br />
verboten, <strong>und</strong> sie sieht am Beispiel eines Mädchens in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Klasse, daß<br />
es durch<strong>aus</strong> möglich ist, daß es durch<strong>aus</strong> "in Ordnung" sein kann, aber die<br />
Lehrerin entzieht ihr diesmal die Unterstützung. Sie präsentiert rationale Gründe,<br />
die Ayla nicht so recht einleuchten, denn wieso sollten die gleichen Lehrer, die<br />
sie auch ohne Tuch kennen, sie auf einmal an<strong>der</strong>s beurteilen, sich ein an<strong>der</strong>es<br />
Bild von ihr machen, aber es ist zu vermuten, daß ihr Ehrgeiz <strong>und</strong> die Furcht,<br />
schlechtere Schulnoten zu bekommen, sie nicht weiter fragen lassen. Außerdem<br />
ist sie mit den Ratschlägen <strong>der</strong> Lehrerin bisher immer gut gefahren. Ayla fügt<br />
sich also <strong>und</strong> teilt die Zeit in eine ohne Kopftuch <strong>und</strong> eine mit Kopftuch. Daß<br />
aber die vorgebrachten rationalen Gründe nicht die einzigen <strong>der</strong> Ablehnung sind,<br />
sieht sie daran, daß die sonst so aufmerksame Lehrerin keinerlei Reaktionen<br />
zeigt <strong>und</strong> ihr damit zu verstehen gibt, daß sie es generell nicht "in Ordnung"<br />
findet. Zwischen Schülerin <strong>und</strong> Lehrerin findet, wie sonst wohl üblich, kein<br />
Gespräch statt. Die Kommunikation versiegt an diesem Schnittpunkt von<br />
Universalismus <strong>und</strong> Partikularismus. Ayla wird allein gelassen. Dieses Mal gibt<br />
es keine Anleitung, keine positive Verstärkung, son<strong>der</strong>n eine schweigende, nicht<br />
greifbare <strong>und</strong> nicht kommunizierbare Ablehnung. Die für sie wichtigsten<br />
Mitschüler reagieren eher gelassen, aber nicht gerade ermunternd. An späterer<br />
Stelle wird sie in diesem Punkt detaillierter, <strong>und</strong> es ist zu erfahren, daß nur ihre<br />
"große Schnauze" <strong>und</strong> ihr Fleiß sie davor bewahrt haben, von ihnen<br />
"demotiviert" zu werden, denn "die waren so zurückgeblieben", wußten gar nicht<br />
"was ein Kopftuch ist <strong>und</strong> welche Folgen das hat", son<strong>der</strong>n machten ihr<br />
Vorwürfe, "... haben immer gesagt, oh, in welchem Jahrh<strong>und</strong>ert leben wir". Das<br />
an<strong>der</strong>e Mädchen mit Kopftuch in <strong>der</strong> Parallelklasse ist fern. Aylas<br />
Schülerfre<strong>und</strong>schaften, die sie in jedem Abschnitt erwähnt, bestehen nahezu<br />
<strong>aus</strong>schließlich mit türkischen Schülern. Anfangs waren keine an<strong>der</strong>en da. Warum<br />
das später, in den gemischten Klasse auch so ist, bleibt im Dunklen. Aber wie<br />
auch immer, mit ihrer offensichtlichen Abweichung vom universalistischen Pfad<br />
durch das Kopftuch nützt ihr das auch nicht viel.