Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Individualisierung <strong>und</strong> Säkularisierung islamischer Religiosität<br />
Das Gebet, das ihr "sehr viel gegeben" habe, steht im <strong>Zentrum</strong> <strong>der</strong><br />
Pl<strong>aus</strong>ibilisierung. Welche Rolle beispielsweise die Fre<strong>und</strong>in bei <strong>der</strong><br />
Entscheidung hatte, wird nicht deutlich. Möglicherweise war sie damals eine<br />
Schlüsselfigur für ihre neue Rezeption des Islam.<br />
Mit 19 Jahren lernte Ayla in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> über Bekannte ihrer Großmutter<br />
eine Muslima kennen, bei <strong>der</strong> sie Islamunterricht nahm <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> sie viele<br />
Gespräche führte.<br />
"Ich fand sie sehr sehr interessant diese Frau <strong>und</strong> ehm ich eh es war Liebe<br />
auf den ersten Blick irgendwie ... ich bin da auch sehr oft hingegangen<br />
<strong>und</strong> hab' da mitgemacht <strong>und</strong> halt einfach so: gelernt zu lesen <strong>und</strong> so, <strong>und</strong><br />
hab' viel mit ihr gequatscht <strong>und</strong> hab' auch am Unterricht teilgenommen."<br />
Diese fre<strong>und</strong>schaftliche Begegnung hat die weitere Entwicklung ihres Verständnisses<br />
vom Islam offenbar nachhaltig beeinflußt, so daß sie heute weniger<br />
Wert auf das Ritualgebet <strong>und</strong> islamische Kleidung legt. Sie bete nun meist in<br />
ihren Sprachen, deutsch o<strong>der</strong> türkisch, <strong>und</strong> rezitiere koranische Verse in<br />
arabischer Sprache als eine Art "meditative" religiöse Übung für sich allein<br />
zuh<strong>aus</strong>e.<br />
"Damals war's einfach so, weißt Du, Gritt, das war einfach so, ich hab'<br />
geglaubt, ich hätt', ich hab' Dir auch gesagt, mit dem Referat, daß ich das<br />
Referat, daß ich ein Referat gehalten hab'. OK, ich hab mich über vieles<br />
gew<strong>und</strong>ert, aber ich kann nicht sagen, daß ich damals so viel Wissen hatte<br />
auch, <strong>und</strong> für mich hat das einfach dazugehört, daß ich, daß ich meine<br />
Kleidung trage <strong>und</strong> Kopftuch trage, <strong>und</strong> ich konnte mir einfach nicht<br />
vorstellen, daß ich islamisch leben kann einfach nur mit Beten, also,<br />
verstehst Du, auch in meiner Sprache, einfach nur Beten, irgendwie<br />
diesen Weg."<br />
Die Erzählungen machen deutlich, daß sich <strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Aneignung des<br />
Islam <strong>und</strong> die Entwicklung ihrer gegenwärtigen religiösen Haltung für Ayla in<br />
zwei Phasen vollzog. Nach einer ersten Phase <strong>der</strong> vorwiegend orthopraktischen<br />
Orientierung versteht sie heute ihre Religiosität als eine Angelegenheit des<br />
"persönlichen Glaubens" <strong>und</strong> ihrer "Beziehung zu Gott". Vorbild für diese<br />
Religiosität ist ihr nicht eine rechtsgelehrte, son<strong>der</strong>n eine "islamisch gebildete"<br />
Person. Diese Begrifflichkeit verweist auf eine weniger theoretische als vielmehr<br />
auch emotionale <strong>und</strong> ganzheitliche Dimension von Wissen. Auch die<br />
Fragen nach dem "Warum, wieso, weshalb" faßt Ayla nicht als Fragen nach<br />
einer dogmatischen Begründung für die Notwendigkeit <strong>der</strong> Pflichten, son<strong>der</strong>n<br />
als eine Frage nach dem Sinn <strong>der</strong> Pflichten für den Glauben <strong>und</strong> für die<br />
Beziehung des Menschen zu "Gott" auf. So erzählt Ayla auch, daß sie jungen<br />
Mädchen, die zu ihr kommen <strong>und</strong> das Kopftuch tragen wollen, lieber vorschlage,<br />
daß sie erst mit dem Beten anfangen sollen, um eine persönliche<br />
Beziehung zu Gott aufzubauen <strong>und</strong> bewußter zu leben lernen.<br />
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