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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Nikola Tietze<br />

Männer setzen die Religion ein, um die Barrieren zu überwinden, die ihre<br />

Alterität auf einer sozialen, kulturellen, politischen o<strong>der</strong> wirtschaftlichen Ebene<br />

festlegen. Es ist ihnen unmöglich, die auferlegte Differenz in Identität<br />

aufzulösen. Aber die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Religiositätsform bringt die jungen<br />

Muslime in die Lage, <strong>aus</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Differenz eine Ressource für ihr<br />

eigenes Handeln zu machen.<br />

<strong>Religiöse</strong> Erinnerungsfiguren zwischen familiärer Emanzipation <strong>und</strong> gesellschaftlichem<br />

Handeln<br />

Mehmet ist Taekwondo-Kämpfer <strong>und</strong> widmet seine gesamte Freizeit dieser<br />

Sportart. Die Prinzipien des Taekwondo "Mut, Fairness, Disziplin <strong>und</strong> Stärke"<br />

sind für ihn zu den obersten Lebenszielen geworden. Wenn dieser junge Mann<br />

seine Religion beschreibt, erzählt er vorzugsweise von den militärischen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

in <strong>der</strong> frühislamischen Zeit. In seinen Schil<strong>der</strong>ungen ähnelt<br />

<strong>der</strong> Khalif Ali dem Porträt, das Mehmet von seinem Taekwondo-Lehrer gibt. Der<br />

Schwiegersohn <strong>und</strong> Vetter des Propheten Mohammed besitzt die Kraft, den Mut<br />

<strong>und</strong> die Selbstdisziplin eines "wahren" Kampfsportmeisters. Islamische<br />

Legenden erhalten für diesen jungen Muslim ihre Bedeutung, indem sie auf<br />

sportliche Ideale projiziert werden, <strong>und</strong> werden gleichzeitig zu Erinnerungsfiguren<br />

(J. Assmann 1988), die <strong>der</strong> Identifizierung mit dem Islam den subjektiven<br />

Sinn geben. Mehmet, für den, wie oben beschrieben, <strong>der</strong> Islam keine<br />

politische Orientierung impliziert, son<strong>der</strong>n im Gegenteil politische Gegensätze<br />

überwindet, islamisiert den Taekwondo <strong>und</strong> "taekwondoisiert" den Islam.<br />

Dadurch kann er seine sportliche Leidenschaft in ethische, universelle Prinzipien<br />

umformen, die idealisch sein Handeln prägen <strong>und</strong> die gleichzeitig dank ihrer<br />

religiösen Verankerung in <strong>der</strong> muslimischen "lignée croyante" (Hervieu-Léger<br />

1993) eine Verbindung zum familiären Milieu herstellen.<br />

Murat, <strong>der</strong> sich mittels eines "integralistischen" Religionsbegriffs von seinen<br />

Eltern emanzipiert, nennt den Koran <strong>und</strong> theologische Schriften, um seine<br />

Identifikation mit dem Islam zu begründen. <strong>Religiöse</strong> Erinnerung wird in seinem<br />

Fall zur Wissensaneignung. Er besucht im örtlichen Jugendclub von Milli GörüÕ<br />

die Vorträge des Hochas bzw. eingeladener Gäste. Murat liest nicht allein in<br />

seinem Zimmer eine theologische Abhandlung <strong>und</strong> interpretiert verschiedene<br />

Ansätze. Der Wert des Wissens über den Islam, <strong>der</strong> in seiner Religiosität eine so<br />

her<strong>aus</strong>ragende Stellung einnimmt, erschließt sich für ihn durch die<br />

Anwendbarkeit <strong>und</strong> das Praktizieren <strong>der</strong> Orthodoxie im Alltag. Wenn er über die<br />

weite traditionelle Kleidung eines anatolischen Bauerns nachdenkt, so geht es<br />

ihm nicht um ihre kulturelle Bedeutung, son<strong>der</strong>n um die Einhaltung islamischer<br />

Regeln.

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