Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Gerdien Jonker<br />
Zu <strong>der</strong> Aufgabe <strong>der</strong> Kirchen in Deutschland gehört es, neben <strong>der</strong> religiösen<br />
Dienstleistung, die geistige Betreuung sowie eine Reihe von sozialen Aktivitäten<br />
im Gemein<strong>der</strong>aum zu organisieren. Darüber hin<strong>aus</strong> wird von den Kirchen<br />
ein soziales Engagement erwartet, das traditionell von <strong>der</strong> Krankenpflege bis<br />
zur Versorgung <strong>der</strong> Bedürftigen reicht <strong>und</strong> auch den Religionsunterricht<br />
einschließt. Diese öffentlich-soziale Seite <strong>der</strong> Kirchen wurde in Deutschland,<br />
im Gegensatz zu den an<strong>der</strong>en europäischen Staten, im Gr<strong>und</strong>gesetz verankert<br />
<strong>und</strong> öffentlich-rechtlich abgesichert. Dadurch haben die deutschen Kirchen<br />
heute eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Staat <strong>und</strong> Bevölkerung, Verwaltung<br />
<strong>und</strong> Bürgern, die von den Wohlfahrtsverbänden bis zur Mitwirkung an<br />
öffentlichen Entscheidungen reicht.<br />
Die rechtlichen Vor<strong>aus</strong>setzungen hierfür strebten in den letzten 20 Jahren<br />
auch die türkisch-islamischen Dachverbände in Berlin an. Diese Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />
liegen in <strong>der</strong> Anerkennung als Körperschaften öffentlichen Rechts. Während<br />
DITIB <strong>und</strong> VIKZ stellvertretend für ihre deutschen Gemeinden in Köln<br />
zum Verwaltungsgericht zogen, setzte die Islamische Fö<strong>der</strong>ation Berlin (IFB)<br />
sich vor Ort mit dem Verwaltungsgericht <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>. Die Anträge auf den<br />
Status einer Religionsgemeinschaft wurden vom Berliner Verwaltungsgericht<br />
bislang mit den unterschiedlichsten Begründungen zurückgewiesen. So war<br />
nach Ansicht des Gerichts 1982 "keine religiöse Zielsetzung" zu erkennen, gab<br />
es 1993 "keine einheitliche Glaubensüberzeugung" <strong>und</strong> verfügte die IFB 1997<br />
über "keine klaren Organisationsstrukturen". Ebenfalls in dem Urteil von 1997<br />
wurde gefor<strong>der</strong>t, die IFB solle zuerst "eine Neugründung mit einer eigenen<br />
Idee von <strong>der</strong> Einheit aller Muslime, die sich von den vorhandenen (islamischen)<br />
Glaubensrichtungen <strong>und</strong> Rechtsschulen unterscheidet", vornehmen<br />
(S.10). Aus dieser Formulierung spricht die Unmöglichkeit, den religiösen<br />
Inhalt von einem Gericht beurteilen zu lassen. Wäre es nach dem Willen des<br />
Verwaltungsgerichts gegangen, hätte die IFB ganz nach dem Beispiel <strong>der</strong><br />
reformatorischen Kirchen die Abtrennung vom Konsens <strong>der</strong> Weltgemeinschaft<br />
(umma) betreiben müssen <strong>und</strong> wäre in die über<strong>aus</strong> gefährliche Dynamik <strong>der</strong><br />
Abtrünnigkeit (Häresie) geraten (Jonker 1998). Gegen diese Bedingung des<br />
Verwaltungsgerichts jedoch hat sie sich jetzt mit Erfolg wehren können.<br />
Die Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts, die im November<br />
1998 erfolgte, ist die Tür, die den islamischen Gemeinden einen entscheidenden<br />
Zugang zur Partizipation auf gesellschaftlicher Ebene ermöglichen kann.<br />
Das Bewußtsein um die Scharnierfunktion dieses Rechts ist bei <strong>der</strong> nächsten<br />
Generation bereits gewachsen. Dort, wo diese Tür jetzt geöffnet wird, ist die<br />
Möglichkeit gegeben, an öffentlichen Entscheidungen im R<strong>und</strong>funkrat,<br />
Landesschulbeirat o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Jugendhilfe mitzuwirken, sich am Religionsunterricht<br />
zu beteiligen o<strong>der</strong> den gesellschaftliche Konsens über aktuelle<br />
Themen <strong>und</strong> Geschehnisse mitzubestimmen.