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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Syrisch-Orthodoxe Christen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong><br />

des kulturellen Gedächtnisses nennt (1992: 52), wie Architektur, Häuser,<br />

Kirchen, Klöster, Landschaften, sakrale Schriften, Geschichten, Rezepte <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>gleichen, tatsächlich daran erinnerten, wer die Suryoye in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

gewesen waren. Ich wurde dort oft darauf hingewiesen, wie sehr diese Dinge<br />

Gedächtnismaterien sind, die Wissensformen, Sitten o<strong>der</strong> den Glauben von<br />

früher beherbergten. Das prominenteste in festen Erinnerungsformen artikulierte<br />

Feld, das zugleich die Autorität <strong>der</strong> Vergangenheit deutlich verkörpert, ist die<br />

Syrisch-Orthodoxe Kirche mit ihren kanonisierten Schriften, ihren Monumenten,<br />

Ritualen <strong>und</strong> heiligen historischen Persönlichkeiten. Innerhalb ihres Felds war<br />

die Rhetorik des Alters des Volkes <strong>und</strong> <strong>der</strong> kulturellen Authentizität am<br />

deutlichsten. Diese war verknüpft mit vergangenen Figuren <strong>und</strong> Ereignissen, die<br />

das Christentum nach Mesopotamien verbreitet hatten <strong>und</strong> das Volk als<br />

"Suryoye", "Christen", zur Entstehung brachten. In syrisch-christlichen<br />

Erzählungen ist die historische Kontinuität <strong>der</strong> Gemeinschaft synonym mit <strong>der</strong><br />

Dauerhaftigkeit ihrer Religion, die sowohl durch die rituellen Ordnungen als<br />

auch durch die Religiosität des Volkes (haymonutho) aufrechterhalten wird.<br />

Obwohl viele Suryoye sich als an diesem Erbe teilhabend beschreiben, gibt es<br />

gleichzeitig ein differenziertes Verhältnis zur religiösen Elite, die das<br />

signifikante Wissen kultiviert <strong>und</strong> interpretiert.<br />

"Ich habe nicht gelesen (gelernt) 11 ", war eine häufige Antwort vieler Suryoye,<br />

wenn ich sie nach ihrem religiösen Wissen fragte. In solchen Fällen wurde ich<br />

oft an Leute verwiesen, die "gelesen" hatten <strong>und</strong> über eine gewisse Expertise<br />

verfügten. Diese Experten hatten klassisches Aramäisch "gelesen", die Sprache,<br />

in <strong>der</strong> die heiligen Schriften, Gebete <strong>und</strong> Gesänge <strong>der</strong> Syrisch-Orthodoxen<br />

Kirche abgefaßt sind. Kompetente "Leser" des Aramäischen haben zugleich eine<br />

gewisse Kompetenz in religiösem Wissen erlangt, da Aramäisch gewöhnlich in<br />

den kirchlichen Schulen (medreshto) gelehrt wird <strong>und</strong> die Schüler 12 in die<br />

Sprache <strong>und</strong> den liturgischen Kanon zugleich einführt. Ein Lehrer (Malfono), ein<br />

Diakon (Shamosho) o<strong>der</strong> ein Priester (Qasho) gehören zu den Experten dieser<br />

prominenten Form des kulturellen Gedächtnisses. Die generelle Verehrung des<br />

Aramäischen <strong>und</strong> des Heiligen Buches bedeutet gleichzeitig, daß ein Leser des<br />

"Buches" eine respektierte gesellschaftliche Position einnehmen kann. K<strong>und</strong>ige<br />

Leser führen denn auch häufig die Autorität des "Buches" an, um ihre<br />

Argumente zu untermauern. "So steht es geschrieben", "das Buch sagt", "wie<br />

Jesus gesagt hat", "wie Paul <strong>der</strong> Apostel sagte", sind <strong>der</strong>artige Zitierformeln, mit<br />

denen Sprecher ihre Aussagen einleiten <strong>und</strong> die dem Gesagten Gewicht<br />

verleihen. Gleichzeitig erinnern diese Kl<strong>aus</strong>eln an das religiöse Erbe <strong>und</strong> an die<br />

Autorität, die es birgt. 13 Suryoye, die nicht "gelesen" haben, was im Tur Abdin<br />

die meisten Frauen <strong>und</strong> etliche Männer betrifft, beziehen sich nicht selten auf<br />

sich selbst als Hörer: "Ich kann nicht lesen, aber nach dem, was wir von unseren<br />

Büchern gehört haben, ist das so ..."; o<strong>der</strong> "was wir gehört haben von <strong>der</strong><br />

Stimme <strong>der</strong> Bibel..."; Suryoye beziehen sich oft auf ihre geheiligte Vergangen-<br />

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