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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Aleviten in Deutschland<br />

<strong>und</strong> bekämpft wurden. Als k9z9lbaÕ (Rotköpfe) seien sie "Ketzer" <strong>und</strong><br />

"Kerzenlöscher" (sexuell promisk), was sie zu beson<strong>der</strong>s gehaßten Unterdrükungsobjekten<br />

<strong>der</strong> orthodoxen Muslime macht. Sie seien ungläubig, da nicht<br />

orthodox, unrein, weil sie sich nicht rituell waschen, sexuell promisk, weil sich<br />

alle Männer <strong>und</strong> Frauen zwecks religiöser Zeremonie im selben H<strong>aus</strong> versammeln<br />

<strong>und</strong> dort tanzen. Dabei handelt es sich um einen typischen double-bind-<br />

Prozeß: Wegen <strong>der</strong> Diskriminierungen finden die ayin-i cem im geheimen, d.h.<br />

meist zu späten Abendst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bei gedämpfter Beleuchtung statt, was die<br />

sexuellen Phantasien orthodoxer Muslime nur noch mehr anregt. Nach dem<br />

gängigen Vorurteil finden im cemevi (Gebetsh<strong>aus</strong>) "Sauf- <strong>und</strong> Sexorgien" statt.<br />

Dabei praktizierten die Aleviten die Monogamie selbst zu Zeiten, als die<br />

Orthodoxie die Mehrehe erlaubte. Die Kurden unter ihnen werden vom Staat <strong>und</strong><br />

national gesinnten Türken gleichermaßen <strong>und</strong> als "Kommunisten" sowieso von<br />

allen diskriminiert. Deshalb kann man die Aleviten als dreifach stigmatisiert<br />

einstufen. Die kurdischen Aleviten wurden (bzw. werden) von den übrigen<br />

sunnitischen Kurden als "unechte Kurden" gen<strong>aus</strong>o diskriminiert, wie sie zusammen<br />

mit den türkischen Aleviten von <strong>der</strong> türkisch-nationalen Bevölkerungsgruppe<br />

als "antitürkische Sozialrevolutionäre" <strong>und</strong> "Kommunisten" benachteiligt<br />

<strong>und</strong> bekämpft werden. Auf <strong>der</strong> religiösen Ebene wie<strong>der</strong>um werden sie von<br />

sunnitischen Türken <strong>und</strong> Kurden gleichermaßen als "Häretiker" <strong>und</strong> "Atheisten"<br />

verleumdet. Deshalb sind von Diskriminierung gegenwärtig die Aleviten am<br />

meisten betroffen, beson<strong>der</strong>s diejenigen jüngeren Alters, die mit dem Buchstaben<br />

"K" attribuiert werden können: "k9z9lbaÕ", "Kurde", "Kommunist". Auch bringt<br />

sie die an die christliche Trinitätslehre erinnernde Anrufung "Allah-Mohammed-<br />

Ali" o<strong>der</strong> die Bezeichnung Alis als "Lichtgestalt Gottes" in den Verdacht, daß<br />

sie Ali als Gott verehren würden, was im orthodoxen Islam eine unverzeihliche<br />

Häresie bedeutet. Nicht zu vergessen ist die im Vergleich zum orthodoxen Islam<br />

"relative" Gleichstellung von Mann <strong>und</strong> Frau. Dabei spielt es für die Diskriminierung<br />

keine Rolle, wie die Mehrzahl <strong>der</strong> Aleviten sich selbst attribuieren. Die<br />

Bezeichnung als "Kommunist" ist häufig eine Fremdzuschreibung, die sich viele<br />

<strong>der</strong> jüngeren Generation in den siebziger Jahren zueigen gemacht haben. Die<br />

meisten Aleviten bezeichnen sich selbst als halkc9 (Populist). In <strong>der</strong> Mehrzahl<br />

gehörten <strong>und</strong> gehören sie zu den Unterstützern <strong>der</strong> Reformen Mustafa Kemal<br />

Atatürks. Das än<strong>der</strong>t allerdings nichts daran, daß sie, wenn sie als Kommunisten<br />

attribuiert werden, auch als solche behandelt, d.h. diskriminiert <strong>und</strong> verfolgt<br />

werden. Paradox erscheint es auch, daß sie als Träger ur- <strong>und</strong> alttürkischer<br />

Kulturtraditionen von türkischen Nationalisten als "antitürkische Elemente"<br />

bekämpft werden. Die kurdischen Aleviten <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Gegend von Tunceli sind<br />

nach wie vor die treuesten Anhänger <strong>der</strong> kemalistischen Sozialdemokraten,<br />

obwohl sie von diesen 1938 bei einem Aufstand gnadenlos nie<strong>der</strong>gemetzelt<br />

wurden; die Stadt "Dersim" in "Tunceli" wurde sogar umbenannt, damit nichts<br />

mehr an den Aufstand erinnerte. Paradox ist, daß die jüngeren türkischen<br />

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