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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Heidi Armbruster<br />

An<strong>der</strong>e <strong>und</strong> ist ein fast paradigmatischer Kommentar zur Unmöglichkeit eines<br />

entspannten christlich-muslimischen Verhältnisses. In <strong>der</strong> Täterschaft <strong>der</strong> einen<br />

<strong>und</strong> dem Opferstatus <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en spiegelt sich zugleich eine Charakterisierung<br />

bei<strong>der</strong> Gruppen als Träger völlig unterschiedlicher moralisch-religiöser Systeme.<br />

In <strong>der</strong> sayfo-Geschichte zeichnen Suryoye denn auch ihre <strong>aus</strong>gesprochen<br />

positive Bewertung <strong>der</strong> Wahrung ethnischer 15 Grenzen. Eine Frau in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong><br />

erinnerte sich:<br />

"Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes, ein wahrer Gott,<br />

Amen. Wir wollen erzählen, was den Christen passiert ist in <strong>der</strong> Zeit des<br />

sayfo. Ich war noch nicht geboren damals, aber meine Mutter erzählte uns<br />

viel davon. Als sich sayfo ereignete, wurden alle Christen getötet. Sie (die<br />

muslimischen Verfolger - H.A.) konnten aber nicht in mein Dorf<br />

eindringen, weil das Haupttor geschlossen war. 16 Sie kamen aber <strong>aus</strong> den<br />

Dörfern (muslimische Dörfer - H.A.) zu uns <strong>und</strong> sie riefen: 3Kommt her<strong>aus</strong><br />

<strong>und</strong> ergebt Euch, wir werden Euch nichts tun.3 Zwei Männer <strong>aus</strong> unserem<br />

Dorf gingen schließlich zu ihnen in ihr Dorf. Jenes Dorf war früher einmal<br />

christlich, es gibt immer noch eine Kirche dort ... Sie haben diese beiden<br />

Männer umgebracht. Mit Spaten haben sie ihre Körper zerhackt. Dann kam<br />

eine Frau von dort ... sie war von den Muslimen entführt worden, sie war<br />

einmal eine Christin <strong>aus</strong> unserem Dorf gewesen. Sie kam <strong>und</strong> erzählte<br />

unseren Leuten, daß die Männer ermordet worden waren, <strong>und</strong> warnte sie,<br />

sich nicht zu ergeben. Dann kamen viele Muslime auf unser Dorf zu. Ein<br />

Mann ging hinauf aufs Dach seines H<strong>aus</strong>es, <strong>und</strong> er sah, daß überall Leute<br />

waren. Er rief: 3Jetzt werden sie kommen <strong>und</strong> uns töten. Sie sollen uns von<br />

weitem töten, nicht <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Nähe. Kommt herauf auf die Dächer, damit sie<br />

uns töten!3 Eine Kugel traf ihn in den Kopf <strong>und</strong> tötete ihn ... Da erschien<br />

pötzlich ein Regenbogen am Himmel, <strong>der</strong> den Mann fast berührte. Die<br />

Muslime sahen es <strong>und</strong> erschraken. 3Das ist [ein Zeichen] von Gott3, sagten<br />

sie. 3Dieses Dorf können wir nicht einnehmen...3".<br />

Die Erzählerin erinnert sayfo als eingeb<strong>und</strong>en in eine kontinuierliche Geschichte<br />

von Verfolgung <strong>und</strong> Bedrohung. Das frühere christliche Nachbardorf <strong>und</strong> die<br />

ehemalige christliche Bewohnerin sind Erinnerungsfiguren, die häufig in<br />

historischen Erzählungen vorkommen. Sie sind auch eine Botschaft über<br />

Enteignung, nicht nur des Territoriums, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> christlichen Frauen.<br />

Dies ist auch ein Kommentar über die Muslime als Bedroher <strong>der</strong> über Frauen<br />

symbolisierten Ehre <strong>der</strong> Christen. Entführungen christlicher Frauen sind ein<br />

häufiges Thema in Suryoyo-Erläuterungen des christlich-muslimischen Verhältnisses<br />

im Tur Abdin.<br />

Gleichzeitig berührt diese Form <strong>der</strong> Erinnerung ein diskursives Feld, in dem<br />

eine spezifische Beziehung zu Gott definiert wird, was bereits die Einleitung<br />

andeutet, die wie ein Gebet gehalten ist. Gott ist präsent als Ursache <strong>und</strong><br />

Adressat, nicht nur <strong>der</strong> Erzählung, son<strong>der</strong>n auch des erzählten Ereignisses, in<br />

dem die Ahnen bereit sind, für ihn zu sterben. Am Ende stellt sich ein Mann aufs

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