Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
44<br />
Heidi Armbruster<br />
An<strong>der</strong>e <strong>und</strong> ist ein fast paradigmatischer Kommentar zur Unmöglichkeit eines<br />
entspannten christlich-muslimischen Verhältnisses. In <strong>der</strong> Täterschaft <strong>der</strong> einen<br />
<strong>und</strong> dem Opferstatus <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en spiegelt sich zugleich eine Charakterisierung<br />
bei<strong>der</strong> Gruppen als Träger völlig unterschiedlicher moralisch-religiöser Systeme.<br />
In <strong>der</strong> sayfo-Geschichte zeichnen Suryoye denn auch ihre <strong>aus</strong>gesprochen<br />
positive Bewertung <strong>der</strong> Wahrung ethnischer 15 Grenzen. Eine Frau in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong><br />
erinnerte sich:<br />
"Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes, ein wahrer Gott,<br />
Amen. Wir wollen erzählen, was den Christen passiert ist in <strong>der</strong> Zeit des<br />
sayfo. Ich war noch nicht geboren damals, aber meine Mutter erzählte uns<br />
viel davon. Als sich sayfo ereignete, wurden alle Christen getötet. Sie (die<br />
muslimischen Verfolger - H.A.) konnten aber nicht in mein Dorf<br />
eindringen, weil das Haupttor geschlossen war. 16 Sie kamen aber <strong>aus</strong> den<br />
Dörfern (muslimische Dörfer - H.A.) zu uns <strong>und</strong> sie riefen: 3Kommt her<strong>aus</strong><br />
<strong>und</strong> ergebt Euch, wir werden Euch nichts tun.3 Zwei Männer <strong>aus</strong> unserem<br />
Dorf gingen schließlich zu ihnen in ihr Dorf. Jenes Dorf war früher einmal<br />
christlich, es gibt immer noch eine Kirche dort ... Sie haben diese beiden<br />
Männer umgebracht. Mit Spaten haben sie ihre Körper zerhackt. Dann kam<br />
eine Frau von dort ... sie war von den Muslimen entführt worden, sie war<br />
einmal eine Christin <strong>aus</strong> unserem Dorf gewesen. Sie kam <strong>und</strong> erzählte<br />
unseren Leuten, daß die Männer ermordet worden waren, <strong>und</strong> warnte sie,<br />
sich nicht zu ergeben. Dann kamen viele Muslime auf unser Dorf zu. Ein<br />
Mann ging hinauf aufs Dach seines H<strong>aus</strong>es, <strong>und</strong> er sah, daß überall Leute<br />
waren. Er rief: 3Jetzt werden sie kommen <strong>und</strong> uns töten. Sie sollen uns von<br />
weitem töten, nicht <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Nähe. Kommt herauf auf die Dächer, damit sie<br />
uns töten!3 Eine Kugel traf ihn in den Kopf <strong>und</strong> tötete ihn ... Da erschien<br />
pötzlich ein Regenbogen am Himmel, <strong>der</strong> den Mann fast berührte. Die<br />
Muslime sahen es <strong>und</strong> erschraken. 3Das ist [ein Zeichen] von Gott3, sagten<br />
sie. 3Dieses Dorf können wir nicht einnehmen...3".<br />
Die Erzählerin erinnert sayfo als eingeb<strong>und</strong>en in eine kontinuierliche Geschichte<br />
von Verfolgung <strong>und</strong> Bedrohung. Das frühere christliche Nachbardorf <strong>und</strong> die<br />
ehemalige christliche Bewohnerin sind Erinnerungsfiguren, die häufig in<br />
historischen Erzählungen vorkommen. Sie sind auch eine Botschaft über<br />
Enteignung, nicht nur des Territoriums, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> christlichen Frauen.<br />
Dies ist auch ein Kommentar über die Muslime als Bedroher <strong>der</strong> über Frauen<br />
symbolisierten Ehre <strong>der</strong> Christen. Entführungen christlicher Frauen sind ein<br />
häufiges Thema in Suryoyo-Erläuterungen des christlich-muslimischen Verhältnisses<br />
im Tur Abdin.<br />
Gleichzeitig berührt diese Form <strong>der</strong> Erinnerung ein diskursives Feld, in dem<br />
eine spezifische Beziehung zu Gott definiert wird, was bereits die Einleitung<br />
andeutet, die wie ein Gebet gehalten ist. Gott ist präsent als Ursache <strong>und</strong><br />
Adressat, nicht nur <strong>der</strong> Erzählung, son<strong>der</strong>n auch des erzählten Ereignisses, in<br />
dem die Ahnen bereit sind, für ihn zu sterben. Am Ende stellt sich ein Mann aufs