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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Heiner Bielefeldt<br />

müssen, die Diaspora-Existenz jedoch in <strong>der</strong> Perspektive ihres religiösen<br />

Universalismus produktiv bewältigen können (vgl. Aliye Yegane Arani).<br />

Kaum ein Begriff wird so unterschiedlich gedeutet <strong>und</strong> löst so<br />

gegensätzliche Reaktionen <strong>aus</strong> wie <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Säkularisierung. Die<br />

"Entzauberung <strong>der</strong> Welt" (Max Weber) provoziert einerseits Angst vor dem<br />

Verlust des <strong>Religiöse</strong>n - bis hin zur Schreckensvision einer ganz <strong>der</strong> instrumentellen<br />

Rationalität verfallenen Gesellschaft. An<strong>der</strong>erseits kann die<br />

"Entzauberung <strong>der</strong> Welt" auch im Namen <strong>der</strong> Religion erfolgen, nämlich als<br />

Kampf gegen jenen "falschen Zauber" <strong>der</strong> Fetische, in denen die Transzendenz<br />

handhabbar gemacht werden soll. Um es in den Leitbegriffen <strong>der</strong> Tagung zu<br />

sagen: Die Säkularisierung kann auf die Marginalisierung des <strong>Religiöse</strong>n<br />

hin<strong>aus</strong>laufen, das buchstäblich an den "<strong>Rand</strong>" gedrängt wird. Sie kann aber<br />

auch als Kehrseite einer reformatorischen Selbstkonzentration des Glaubens<br />

auf seinen eigentlichen "<strong>Kern</strong>" verstanden werden, eines Glaubens, <strong>der</strong> sich<br />

von den Dingen <strong>der</strong> Welt distanziert, um <strong>aus</strong> solcher bewußten Distanz her<strong>aus</strong><br />

zugleich in <strong>der</strong> Welt zu wirken.<br />

Das Thema <strong>der</strong> Säkularisierung wird in verschiedenen Beiträgen angesprochen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e in den Aufsätzen über die Aleviten <strong>und</strong> die Yeziden. In<br />

beiden Gruppierungen gibt es offenbar eine starke Tendenz in Richtung auf<br />

eine weitere Säkularisierung, die allerdings auch interne Wi<strong>der</strong>stände <strong>aus</strong>zulösen<br />

scheint. Mit <strong>der</strong> Säkularisierung des Alevitums verfolgen einige die Absicht,<br />

die traditionell esoterische alevitische Religiosität nach außen hin zu<br />

öffnen <strong>und</strong> sie allgemein zugänglich zu machen. Wird das Alevitum dadurch in<br />

seinem religiösen bzw. philosophischen <strong>Kern</strong> transparent, o<strong>der</strong> wird es zu<br />

einem Element türkischer Folklore? Die Einschätzungen <strong>und</strong> Bewertungen<br />

gehen offenbar unter Aleviten weit <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong> (vgl. Dursun Tan). Bei den<br />

Yeziden rivalisieren die "Zarathustrianer", die die yezidische Tradition als<br />

Bestandteil des gesamtkurdischen Kulturgutes verstehen wollen, mit den<br />

"Nicht-Zarathustrianern", denen es darum geht, den religiösen Gehalt des<br />

Yeziditums zu wahren <strong>und</strong> neu zu formulieren (vgl. Banu Yalkut-<br />

Bred<strong>der</strong>mann). Beide Tendenzen lassen sich als unterschiedliche Varianten<br />

von Säkularisierung beschreiben. Aber auch die kritische Auseinan<strong>der</strong>setzung,<br />

die junge Männer <strong>und</strong> vielleicht mehr noch junge Frauen sunnitischer Orientierung<br />

mit ihrer Tradition leisten, enthält ein Element von Säkularisierung<br />

(vgl. Nikola Tietze <strong>und</strong> Grit Klinkhammer).<br />

Versteht man die Säkularisierung im positiven Sinne als Konsequenz einer<br />

reformatorischen Selbstkonzentration des <strong>Religiöse</strong>n, dann erscheint sie in<br />

enger Verbindung mit dem Prozeß <strong>der</strong> Individualisierung. Beiden Bewegungen<br />

gemeinsam ist die Tendenz, daß Religiosität stärker als zuvor reflexiv wird.<br />

Zwar sollte man gegen eine zu holzschnittartige Entgegensetzung von<br />

Tradition <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>ne bzw. Postmo<strong>der</strong>ne zur Kenntnis nehmen, daß Reflexion<br />

auch im Rahmen traditioneller Religiosität immer möglich war <strong>und</strong> statt-

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