Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Dursun Tan<br />
Worten einen Anker dar, durch den die Verbindung zu bzw. zwischen den Aleviten<br />
hergestellt <strong>und</strong> aufrechterhalten werden soll. Diese Hauptrichtung ist eher<br />
kognitiv orientiert <strong>und</strong> tendiert zur Philosophie. Sie knüpft an universelle<br />
Diskurse an <strong>und</strong> speist sich größtenteils <strong>aus</strong> diesen. Ihre Bewertungsmaßstäbe<br />
werden im wesentlichen dem universellen Diskurs entnommen <strong>und</strong> in den<br />
alevitischen übersetzt. So wird z.B. immer wie<strong>der</strong> abgewogen, ob <strong>der</strong> alevitische<br />
Diskurs <strong>und</strong> seine Bewertungsmaßstäbe den allgemeinen, positiv bewerteten<br />
Aspekten im universellen Diskurs entsprechen. Falls ja, wird das zur Stabilisierung<br />
des kollektiven Selbstbildes genutzt, in dem einan<strong>der</strong> bestätigt wird, wie<br />
fortschrittlich das Alevitum sei, wenn doch seine Bewertungsmaßstäbe sogar<br />
universelle seien. Manchmal geht die Selbsterhöhung sogar so weit, daß behauptet<br />
wird, alle positiven Entwicklungen seien schon immer in <strong>der</strong> alevitischen<br />
Lehre angelegt. Diese Selbststilisierung zum <strong>aus</strong>erwählten Volk Gottes, durch<br />
die die Ausgrenzungserfahrung positiv zur Selbstaufwertung umgepolt wird,<br />
kennzeichnet eine Identitätspolitik, die bei vielen ethnisch-religiösen <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong><br />
im Nahen Osten anzutreffen ist. Je<strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Identitätskonstruktion<br />
ist ein dynamischer, doch wird jede Handlungslegitimation auch <strong>aus</strong><br />
dem jeweilig vorgef<strong>und</strong>enen Kontext bezogen. Jedoch wird dieser Kontext in<br />
den Text gelegt, so seiner historischen Dimension beraubt <strong>und</strong> erscheint dann<br />
substantiell, als sei er schon immer so gewesen. Damit ist das Alevitum ganz<br />
Kind seiner Zeit <strong>und</strong> entspricht gerade durch die Betonung seiner Einmaligkeit<br />
den an<strong>der</strong>en ethnisch-religösen Bewegungen.<br />
Die Mo<strong>der</strong>nisten unter den Aleviten möchten das Alevitum auch den<br />
Nichtaleviten zugänglich machen. Auch diese sollen Alevis werden können,<br />
wenn sie sich dazu bekennen. Erstere laufen aber dadurch Gefahr, an Kontur zu<br />
verlieren <strong>und</strong> im Universellen aufzugehen, eine Ambivalenz, die typisch für das<br />
europäische Judentum <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne war (Mosse 1992). Dieser Richtung ist eine<br />
starke säkularisierende Tendenz inhärent. Über kurz o<strong>der</strong> lang verlieren religiöse<br />
Praktiken <strong>und</strong> Beson<strong>der</strong>heiten ihre abgrenzende Funktion <strong>und</strong> verschmelzen mit<br />
den Bestimmungsmomenten ihrer Umwelt.<br />
Die Öffnung des Alevitums <strong>und</strong> die Entgrenzung ihrer Bestimmungsmomente<br />
erscheint <strong>der</strong> zweiten Richtung, den Traditionalisten, als ein erster Schritt zur<br />
Selbstaufgabe. Sie legen Wert darauf, sich in ihrer religiösen Abgrenzung<br />
Anerkennung zu verschaffen. Es kommt ihnen nicht so sehr darauf an, im<br />
Universellen aufzugehen o<strong>der</strong> dieses in sich aufzunehmen, son<strong>der</strong>n ihre Exklusivität<br />
zu behaupten. Nach ihrer Auffassung bezieht das Alevitum gerade <strong>aus</strong><br />
dieser Abgrenzung seine Exklusivität. Die Kritikpunkte, die sie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Richtung gegenüber anführen, gleichen denen <strong>der</strong> orthodoxen gegenüber den<br />
säkularen europäischen Juden <strong>der</strong> frühen Mo<strong>der</strong>ne. Diese lauten sinngemäß: Die<br />
Assimilation ist eine Selbsttäuschung. Sie wird euch nicht davor bewahren, daß<br />
euch euer sunnitisches Umfeld nicht akzeptiert <strong>und</strong> anerkennt, denn es wird die<br />
Grenzen immer wie<strong>der</strong> so verschieben, daß ihr trotz <strong>der</strong> Assimilationsbemühung