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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Dursun Tan<br />

<strong>Türkei</strong> das Alevitum gern auch als anatolischen Alevismus. Eine spezifische<br />

(Unter)Variante stellt das BektaÕitum (abgeleitet von Hac9 BektaÕi Veli) dar,<br />

wodurch die Beson<strong>der</strong>heit des anatolischen Alevitums noch einmal hervorgehoben<br />

wird. Allerdings wird im Gegensatz zum BektaÕiorden, dem je<strong>der</strong> beitreten<br />

kann, <strong>der</strong> sich zum BektaÕitum bekennt (yol evlat), die Zugehörigkeit zum<br />

Alevitum nur durch Abstammung (bel evlat) erlangt.<br />

<strong>Religiöse</strong> Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Aleviten<br />

Die Aleviten sind Muslime, die sich von <strong>der</strong> islamischen Orthodoxie abgespalten<br />

haben. Es muß allerdings hinzugefügt werden, daß diese Auffassung nicht von<br />

allen Aleviten geteilt wird. Es gibt auch Stimmen, die das Junktim von Islam <strong>und</strong><br />

Alevitum abstreiten (Engin 1993). Die Aleviten sind in erster Linie Anhänger<br />

von Ali, dem Schwiegersohn Mohammeds, <strong>und</strong> seiner Nachkommen, <strong>der</strong> zwölf<br />

Imame. 2 Darin gehen sie mit den iranischen Schiiten konform. Die Aleviten<br />

erkennen jedoch die Scharia, den islamischen Gesetzeskodex, nicht an. Das<br />

dürfte daran liegen, daß die Aleviten im Gegensatz zu den Schiiten im Iran keine<br />

Geistlichkeit hervorgebracht haben <strong>und</strong> <strong>der</strong>artige Institutionen bislang strikt<br />

ablehnen. Im Gegensatz zu Iran war <strong>der</strong> Alevismus in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> zu keiner Zeit<br />

Staatsreligion <strong>und</strong> wurde nach <strong>der</strong> Übernahme des Kalifats durch die Osmanen<br />

(1517) zunehmend in die Opposition gedrängt. Die Lebens- <strong>und</strong><br />

Glaubensauffassung <strong>der</strong> Aleviten wurde daher nicht kanonisiert. Vielmehr wird<br />

ihre Religion eher als eine Lebensphilosophie denn als Religions<strong>aus</strong>übung verstanden.<br />

Der schiitischen <strong>und</strong> sunnitischen Orthodoxie setzen sie ihren "Weg"<br />

(Yol/Tarikat) entgegen, auf dem verschiedene Stadien durchlaufen werden<br />

müssen, um ein göttlicher, d.h. sozialer Mensch zu werden. Vier Tore müssen<br />

dabei durchschritten werden: Das erste Tor ist das Tor des Gesetzes (Ôeriat), das<br />

zweite das Tor des Ordens (Tarikat), das dritte das Tor <strong>der</strong> Erkenntnis (Marifat)<br />

<strong>und</strong> das vierte das Tor <strong>der</strong> Wahrheits (Hakikat). Durch jedes dieser Tore wird <strong>der</strong><br />

Talip (<strong>der</strong> Strebende/Schüler) von je einem Rehber (Wegweiser) geführt, <strong>der</strong><br />

Ôeyit (Angehöriger des H<strong>aus</strong>es des Propheten) sein muß. Dabei folgt er einer<br />

Makam (Instanz, Melodie, Tonfolge, Regel) von 10 Segmenten. Insgesamt<br />

durchläuft <strong>der</strong> Talip also 40 Makam (Instanzen).<br />

Durch das erste Tor wird <strong>der</strong> Strebende vom Rehber begleitet, <strong>der</strong> ihn in die<br />

Gr<strong>und</strong>regeln <strong>der</strong> Religion einführt, durch das zweite vom Pir (religiöser Führer)<br />

begleitet, <strong>der</strong> ihn in <strong>der</strong> eigentlichen Lehre des Alevismus unterweist. Durch das<br />

Tor <strong>der</strong> Wahrheit geht er mit dem MürÕit (Pir <strong>der</strong> Pirs); durch das Tor <strong>der</strong><br />

Erkenntnis schreitet er mit einem selbstgewählten Begleiter (MüÕahip), mit dem<br />

er eine lebenslange Fre<strong>und</strong>schaft bzw. Wegbru<strong>der</strong>schaft ähnlich <strong>der</strong> Ehe schließt<br />

(Bumke 1979: 534). Die MüÕahip-Beziehung stellt eine patrilineare Wahlbru<strong>der</strong>schaft<br />

zwischen zwei Männern <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Familien dar, eine eheähnliche,

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